KULTUR

Einfach ausprobieren! „It always seems impossible until its done.“ Nelson Mandela

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Fast alltäglich mutet das gemeinsame Essen in der WG Küche von Studenten der Zeppelin Universität an – wäre es nicht in Kapstadt und würde es bei dem Tischgespräch nicht um ein Experiment gehen, das gerade erfolgreich zu Ende gebracht wird. standpunkt konnte dabei mit ihnen über ein fantastisches Projekt und ihre außergewöhnliche Forschungsarbeit sprechen. Die Vorbereitungen zu dem gemeinsamen Essen in ihrem WG Haus in Kapstadt zeigen schon, wie sehr das Team der Studenten nach Monaten des Zusammenlebens, Arbeitens und Forschens aufeinander eingespielt ist. Selbst bei den eigenen Rezepten zeigt sich die Experimentierfreudigkeit und Kreativität der vier noch in Kapstadt verbliebenen Studenten, die den Rücktransport „ihres“ Containers abwickeln und die erste Humboldt Reise erfolgreich beendet haben. (Rückblick dazu von Niklas Egberts) 

Standpunkt: Ihr habt einen gewöhnlichen blauen Schiffscontainer nach Kapstadt geschifft und dort zu einem mobilen, sozial Labor umgebaut. Wie kommt man auf so eine Idee?

Niklas: Wir haben seit dem Beginn unseres ersten Semesters am Projekt Humboldt Journey gearbeitet. Inspiration war damals ein Vortrag vom Unipräsidenten. Er sprach von einer mobilen Universität, die Krisen vor Ort anstatt aus akademischer Distanz erforscht. Mit dem Konzept des ‚undergradute research’, Forschungsprojekten noch vor dem ersten Abschluss, konnten wir im Zeppelin Jahr erste Erfahrungen machen. Diese Art der akademischen Bildung ist wie ‚beim rennen laufen lernen’. Es ist zwar anstrengend und überfordernd, aber es lohnt sich. Das Humboldt Jahr, ein Bestandteil des Curriculums unseres Studiengangs, war für uns dann eine günstige Gelegenheit, unsere Pläne umzusetzen.

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Per: An unserer Zeppelin Universität in Friedrichshafen haben wir derzeit einen gesamten Campus bestehend aus Containern. Unser Präsident Herr Jansen hat den Bau des Containercampus damals bei der Eröffnungsrede unseres ersten Semesters vor beinahe drei Jahren angekündigt. Dabei fiel der Satz: „So einen Container kann man schließlich überall hinstellen, sogar auf ein Forschungsschiff.“ Dieser Satz ist in unseren Köpfen hängen geblieben und hat den entscheidenen Impuls für dieses verrückte Projekt gegeben.

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Standpunkt: Gab es noch einen weiteren Grund einen Container als Wegbegleiter auszusuchen?

Per: Zuerst einmal hat uns der Container als Symbol für Globalisierung, Standardisierung und eine zunehmende Mobilität in unserer Welt fasziniert. Er ermöglicht es, uns temporär einen Raum mit nach Kapstadt zu bringen, der sich leicht verändern, anpassen und logistisch fast überall hin transportieren lässt. Der Container wurde für drei Monate durch unsere Workshops, Events und unsere täglichen Interaktionen mit Kapstadt gestaltet und hat ein völlig neues Gesicht über diesen Zeitraum erhalten. Aus unserem gewöhnlichen Container ist ein Artefakt geworden, das die Humboldt Journey nach Kapstadt konserviert und somit ein Stück Kapstadt und unsere Erfahrungen zurück nach Friedrichshafen bringt. So wie wir mit uns und dem Container vor drei Monaten ein Stück Friedrichshafen/Deutschland nach Kapstadt gebracht haben.

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 Standpunkt: Was wolltet ihr mit dem Container als mobiles und soziales Labor erreichen?

Per: Für uns ist der Container eine provisorische Intervention. Er ist eine Plattform, die uns dazu zwingt unsere eigene Komfortzone zu verlassen und mit den Kapstädtern in Kontakt zu treten. Er fungiert als Eisbrecher in einer Gesellschaft und Umwelt, in der wir fremd sind. Mich persönlich hat es fasziniert, wie der Container Menschen angezogen und neugierig gemacht hat. Dabei haben wir eine riesige Spannweite von Kapstädtern kennengelernt. Von Obdachlosen und Schülern des Colleges, die sich immer in diesem Raum aufhalten, hin zu Kapstadts Künstlerszene und unterschiedlichster Gestalten dazwischen. Damit hat der Container uns Einblicke in das Leben von den verschiedensten Menschen gegeben, die uns ansonsten nie begegnet wären. Wir hatten zu Anfang die Idee zu untersuchen, inwiefern man Partizipation im öffentlichen Raum gestalten kann. Der Container sollte dabei die Schnittstelle sein, in welcher wir durch künstlerische Aktionen dieser Frage nachgehen. Mit der Zeit hat der Container aber an Eigendynamik gewonnen, die uns im Prozess dazu veranlasst hat, von unserer ursprünglichen „Containerfrage“ Abstand zu nehmen.

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Standpunkt: Euer Container wurde auf dem Platz vor dem City Campus des College of Cape Town in Kapstadt aufgestellt. Wie reagierten die Besucher?

Per: Ja, unser Container stand mitten im öffentlichen Raum vor dem College of Cape Town. Dieser Platz war für uns perfekt, da er eine Art Korridor ist, der je nach Tageszeit entweder von Obdachlosen, Studenten oder Geschäftsleuten bespielt wird und somit ziemlich facettenreich ist. Die „Besucher“ haben vor allem sehr neugierig reagiert und sofort mit dem Ausfragen nach Inhalt, Sinn und Zweck des Containers angefangen. Erst nach und nach haben viele realisiert, dass sie nicht als Besucher gesehen werden und Reaktionen von ihnen erwartet werden. Viel mehr wurden sie Teil des Projektes und waren zur Partizipation aufgefordert. Für manche bestand diese aus 5 min Smalltalk, andere haben sich den Raum zu eigen gemacht und z.B. ihr Photografieprojekt kurzerhand in den Container verlegt. Für mich ist das auch eines der Wunder dieses Containers, dass er sowohl für uns als auch für alle Beteiligten nach und nach eine völlig individuelle Bedeutung bekommen hat. Auch bedingt durch unsere Forschung wurde der Container etwa für Eva zu einem Ort, der Atmosphäre in einem öffentlichen Raum verändern kann. Mich hat er hingegen mit Leuten ins Gespräch gebracht und so ermöglicht, Erkenntnisse über die Selbstbetrachtung von Kapstädtern zu erlangen, ohne dabei das formelle Setting eines Interviews zu haben, welches doch immer wieder Leute davor abschreckt Klartext zu reden. Für manche College Schüler wurde er und wir hingegen ein Teil ihres täglicher Lebens und ich war wirklich überrascht wie viel Bedeutung dieser Container in ihren Leben in so kurzer Zeit eingenommen hat.

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Niklas: Von begeistert bis skeptisch war alles dabei. Polarisiert waren die Reaktionen insbesondere bei den Obdachlosen. Einige von ihnen haben auf den ersten Blick sehr positiv reagiert und versucht, uns bei kleineren Aufgaben zu helfen. Andere waren extrem aggressiv und nicht weit von körperlichen Angriffen entfernt. Es gibt ein starkes Bewusstsein für die Problematik der Rolle des helfenden, weltverbessernden, weißen Europäers. Davon haben die Kapstäder schon genug.

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Standpunkt: Wie ist Euer Container eigentlich ausgestattet?

Per: Angekommen ist ein fast nackter Container mit einem Büro und einem Lagerbereich. Mittlerweile ist er zu einem richtig gemütlichen kleinem Zuhause geworden mit Sofas aus Palletten und einer Bibliothek. Außerdem haben wir eine Prozesswand, eine Photoausstellung und jede Menge kleine Veränderungen, die im Laufe des Projekts entstanden sind. Nicht zu vergessen, dass wir unserem Container mit Künstlern von Kapstadt bis Berlin einen einzigartigen Look verliehen haben.

Standpunkt: Welche Herausforderungen waren die größten?

Per: Persönlich würde ich sagen, dass es die größte Herausforderung war, über einen Zeitraum von fast drei Jahren an dem Gedanken festzuhalten, einen Container an einen anderen Ort der Welt zu verschiffen. An der Idee haben wir während unseres Studiums gearbeitet und bis zuletzt hatten wir keine Garantie, dass es nicht doch noch an formellen, akademischen oder sonstigen Hindernissen scheitert. Natürlich kommen dann noch Probleme hinzu wie z.B. die Erlaubnis der Kapstädter Behörden zu bekommen, einen Container mitten in der Stadt abzuladen und dort Events stattfinden zu lassen. Eine große Herausforderung war es auch, ein kultuelles Verständnis für die hiesigen Umgangsregeln in der Kommunikation zu entwickeln. Aber dass wir dieses Projekt zu siebt gestartet und auch zusammen zu Ende gebracht haben, ist für mich die größte Herausforderung, die wir gemeistert haben.

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Niklas: Einerseits empfand ich die Bürokratie in Südafrika als sehr große Herausforderung. Hier wurden wir immer wieder vertröstet und hingehalten. Am Ende hat persönlich Druck machen und informelle Kanäle nutzen geholfen. Eine zweite große Herausforderung war die interne Kommunikation vor dem eigentlichen Antritt der Reise. Der Großteil des Teams befand sich im Auslandssemester. So waren wir in Israel, Taiwan, Columbien, Deutschland und Argentinien verstreut und hatten dementsprechend mit verschiedenen Zeitzonen zu kämpfen. Wir haben uns regelmäßig zum skypen getroffen, mindestens einmal die Woche. Auch wenn das bedeutet hat, mal um 4 Uhr morgens aufzustehen.

Standpunkt: Was macht Ihr als Wirtschaft- und Kulturwissenschaft Studenten denn, wenn Ihr nicht gerade Container verschifft?

Per: Das Interessante an unserer Gruppe ist, dass wir abgesehen vom Container völlig unterschiedliche Interessensbereiche haben. Alma hat ihren Sommer mit einem Praktikum im Vatikansmuseum in Rom verplant, Nora schreibt gerade ihre Bachelor Arbeit fertig und Daniel und ich werden versuchen, akademisch wieder mit den anderen gleichzuziehen. Ich bin mir sicher, dass es Catharina, Eva und Niklas bestimmt auch nicht langweilig wird.

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Standpunkt: Und nach dem Abschluss zieht es Euch ins Kulturmanagement?

Per: Ob einer von uns im Kulturmanagement landet, würde mich auch mal interessieren. Ich bezweifel es aber. Vielleicht unsere Container Innenbereichkünstlerin Alma, sie hat eine Menge künstlerisches Engagement in den Container gesteckt. Diese Projekterfahrung ist für uns alle eine Bereicherung gewesen, ganz unabhängig davon was der Einzelne studiert. Das ist halt das Schöne an dem interdisziplinären Ansatz unserer Uni. Vor allem haben wir gelernt, dass man im Team das Unmögliche möglich machen kann. Um es mit Nelson Mandelas Worten zu beschreiben: „It always seems impossible until its done.“

Standpunkt: Und was passiert dann mit Eurem Container?

Niklas: Der Container wird im Rahmen des Seekult! Festivals im Oktober in Friedrichshafen zu sehen und zu erleben sein. Man kann ihn auch schon vorher auf einem der Campus der ZU begutachten. Im nächsten Jahr geht es für den Container dann erneut auf Humboldt Reise, wohin ist allerdings noch unklar.

Per: Da der Container mittlerweile so etwas wie unser Baby geworden ist, setzten wir natürlich darauf, dass er sich schon bald wieder mit einer neuen, hochmotivierten Humboldt Journey Gruppe von neuem auf eine Reise in die Ungewissheit begibt. Natürlich ist es schön zu sagen, dass wir die Einzigen sind, die so etwas bisher gemacht haben. Viel schöner wäre es für uns jedoch, wenn wir in Zukunft sagen könnten, wir waren die Ersten, die diese Reise unternommen haben.

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Das Interview mit Per Braig und Niklas Egberts organisierte Karla Vollmer.

Infos zum Projekt mit Linklisten:

FB: Humboldt Journey
Blog: www.humboldtjourney.com

Twitter: HumboldtJourney

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