UNTERHALTUNG

„Wenn wir kaputt sind, gehen wir ein paar Minuten ins Sauerstoffzelt“

Die Madsen spielten schon 2013 auf dem Rocco del Schlacko sowie 2012 beim Rock am Ring. Dieses Jahr trafen wir die freundlichen Punker vom Dorf auf dem HORSTFestival 2014 für ein entspanntes Interview. Die Jungs von Madsen spielen Indie-Rock und stammen aus dem Wendland an der Elbe, das eher für die Castortransporte nach Gorleben bekannt ist. Drei der fünf Mitglieder sind Geschwister und ihre Band existiert seit 2004 unter dem Namen Madsen. Mit ihrer Debutsingle “Die Perfektion” eroberten sie 2005 nicht nur die Charts, sondern auch die Herzen tausender Fans.

Das Interview führten Marc Feger und Max Swierczynski für standpunkt

Madsen ist ja schon fast eine Familiensaga. Ihr seid im Wendland an der Elbe aufgewachsen. Wie habt ihr eure Jugend verbracht?
Niko: Schön auf dem Dorf. Wir sind richtige Dorfkinder. Es war eine schöne Jugend, du kannst als Kind durch das Dorf laufen ohne dass sich jemand Sorgen macht weil jeder weiß, wenn er einmal weg ist, dann ist er irgendwo bei den Nachbarn, die werden sich dann schon melden. Ganz einfach – man hat eine schöne, naturnahe Jugend.

Was habt ihr da so gemacht?
Niko: Ja Scheiße gebaut.
Johannes: Mit dem BMX-Bike durch den Wald gefahren zum Beispiel.

Habt ihr euch dabei verletzt?
Johannes: Ja bestimmt aber nie wirklich schwer. Später sind wird dann mit den Mopeds durch den Wald. Da wurde es dann schon das eine oder andere Mal gefährlich. Aber damit mich keiner falsch versteht, unsere Jugend war unbeschwert! Wie Niko schon sagte, wenn du heute in der Stadt aufwächst kann viel mehr passieren weil man nicht einfach mal um den Block geht und wieder zu Hause ankommt, sondern in Gegenden kommt, in denen man nicht sein will.
Niko: Aber auch gerade in jungen Jahren will man etwas erleben und das gab es nun einfach nicht bei uns im Dorf. Wir haben uns dann heimlich auf dem Marktplatz getroffen, um Zigaretten zu rauchen und Bier zu trinken. Heute nennt man das „Abhängen“. (lacht)

Ab wann war euch denn klar, dass die Musik ein zentraler Bestandteil eures Lebens sein wird?
Johannes: Das war mehr oder weniger ein schleichender Prozess, denn die Musik war schon immer sehr gegenwärtig bei uns, auch in der Familie. Wir haben als kleine Kinder schon die Beatles mit unseren Eltern gehört und da es bei uns im Dorf so wenige Angebote gab, brauchten wir eine Abwechslung zum Alltag. Wir haben auch früh Triangel- und Klavierunterricht genommen, also schon in der frühsten Kindheit! (lacht)
Niko: Ja, wie Johannes schon gesagt hat, es war ein schleichender Prozess. Aber unser großer Traum war es schon immer, von der Musik leben zu können und das ist dann tatsächlich irgendwann auch in Erfüllung gegangen. Heutzutage ist das leider gar nicht mehr selbstverständlich.
Johannes: Stimmt. Trotzdem wollen wir bescheiden bleiben und uns zurückziehen wenn wir wollen. Unseren Proberaum haben wir deshalb auch immer noch auf dem Land.

Gibt es musikalische Vorbilder für Euch?
Niko: Definitiv.

Wer den zum Beispiel?
Johannes: Viele. In unseren Kindertagen waren das ganz klar die Beatles. Ich mache das jetzt alles einmal an der Plattensammlung unserer Eltern aus. Als wir dann das erste Mal mit sechs oder sieben Jahren das CD-Regal durchforsteten, kam ganz schnell ACDC auf.
Niko: Genau, und in den 90ern kamen dann auch Nirvana. Also alles, was so in die Punkrichtung geht waren so unsere Vorbilder.

Gab es einen musikalischen Wendepunkt in eurer Karriere?
Johannes: Den musikalischen Wendepunkt gab es mit der Vorgängerband Hoerstuaz vor den Madsen. 2003 bis 2004 kam es dann zum Crossover. Bis dahin hat Sebastian auch viel gerappt, aber seitdem waren die Songs, die Sebastian geschrieben hat, schon Madsen-Songs. Ab dort wurde uns auch klar, dass wir uns außerdem einen neuen Namen einfallen lassen müssen, weil die Songs sich so verändert haben, dass der Name nicht mehr zu dem passt, was wir besingen. Das war eigentlich so der einzige musikalische Wendepunkt in unserer Karriere.
Niko: Auf jeden Fall!

Auf eurem Album „Wo es beginnt“ finden sich zum ersten Mal in Songs wie „Baut wieder auf“ oder „Generation im Arsch“ auch politische Themen wieder. Wie kam es dazu?
Niko: Naja, man hat als eine Band von unserer Größe und einer gewissen Zuhörerschaft – ich will nicht sagen eine Vorbildfunktion – aber man hat schon eine gewisse Aufmerksamkeit und das, so finden wir zumindest, verpflichtet uns, gewisse Sachen klar zu stellen, zum Beispiel politisch. Dazu gehört, dass man sich für manche Dinge einsetzen muss, die man so nicht stehen lassen kann, zum Beispiel Atommüll sowie das Engagement gegen Rechtsextremismus, dazu sind wir verpflichtet!

Seht ihr euch jetzt in einer Vorbildfunktion?
Johannes: Wir wollen kein Vorbild sein. In diese Ecke wollen wir uns nicht drängen lassen. Ich denke, niemand muss ein Vorbild sein, wenn er es nicht sein will, nur muss man, wenn man die Aufmerksamkeit hat, entsprechend reagieren.
Niko: Es ist ja auch selbstverständlich, dass die Leute wissen wo wir stehen, wenn wir in der Öffentlichkeit sind. Für uns ist es auch selbstverständlich zu sagen, dass Rechtsextremismus scheiße ist und Nazis Arschlöcher sind.
Johannes: Es ist schlimm genug, dass man darauf überhaupt noch aufmerksam machen muss.
Niko: Aber wir gehen da auch nicht hin mit hochgehaltener Flagge und sagen: „Ihr müsst jetzt so und so denken.“ Das ist nicht unsere Art. Aber wir wollen, dass die Leute wissen, was wir denken und wo wir stehen.

Eure Mischung ist schon manchmal ziemlich gegensätzlich. Laute Töne und Geballer trifft auf Ballade – wie passt das für Euch zusammen?
Niko: Ich würde es langweilig finden, wenn immer nur die selben Stücke gespielt werden würden. Wenn wir ein Konzert von 75 Minuten geben können wir nicht die ganze Zeit Vollgas geben. Ich meine, wir sind alle über 30. Das schaffen wir einfach nicht mehr und deswegen brauchen wir ab und zu einfach mal ein paar ruhige Stellen. Wenn wir dann kaputt sind, gehen wir eben ein paar Minuten in das Sauerstoffzelt und dann geht das schon wieder.

Ihr braucht ein Sauerstoffzelt?
Johannes: Ja, in der Tat, wir haben eins! Seit 2009. Als Michael Jackson starb, haben wir sein Sauerstoffzelt bekommen.

Die Madsen wirken ja auf den ersten Blick irgendwie brav, gibt es eigentlich auch eine andere Seite bei euch?
Johannes: Ne, eigentlich nicht. Wir verstellen uns nicht – weder hinter noch auf der Bühne. Wir versuchen immer möglichst authentisch zu sein.
Niko: Nö, wir mögen alle die Harmonie, wieso sollten wir uns da anders verhalten als wir eigentlich sind? Wir finden Gewalt einfach Scheiße und wir sind zu jedem nett, der nett zu uns ist.
Johannes: Ich glaube wir haben auch einfach verstanden, dass es viel einfacher ist, wenn man nett und freundlich zu seinen Mitmenschen ist.

Wie nah seht ihr euch am Lebensgefühl eurer Fans, die sich ja größtenteils aus Schülern und Studenten zusammensetzt?
Johannes: Oh, die Frage ist gut, da muss ich erst einmal nachdenken. Eine solche Frage wurde uns noch nicht gestellt.
Niko: Also, wir versuchen auf jeden Fall so nahe an unseren Fans dran zu sein wie es geht. Wir versuchen auch, nach den Konzerten zu unseren Fans zu gehen. Mit der Zeit kommt es auch, dass man die Leute, die fast jedes Mal unsere Konzerte besuchen, persönlich kennt. Da ist es auch interessant, sich mit den Menschen zu unterhalten.
Johannes: Wir versuchen möglichst viel Kontakt zu dem Publikum zu halten, zumindest zu denen, die regelmäßig unsere Konzerte besuchen. Man muss auch sagen, dass sich unser Publikum aus verschiedenen Gruppen zusammensetzt. Da gibt es die Jugendlichen aber auch Rentner und Kinder sind oft auf unseren Konzerten und deswegen ist es sehr schwer zu sagen, wie nahe wir an dem Lebensgefühl unserer Fans dran sind.
Niko: Aber es ist ja so, dass Musik verbindet. Unsere Fans lieben unsere Musik genau wie wir – also wie verbundener kann man noch sein?

Wie seht Ihr diese Generation aus Eurer Sicht?
Niko: Wir sind ohne Internet aufgewachsen. Jetzt ist das Internet überall, ich denke, das ist das Gefährliche an dieser Generation, weil viele Jugendliche das glauben, was im Internet steht. Ihr guckt auf Facebook, Twitter, Wikipedia und was da steht, stimmt und wird ernst genommen, das ist eine gefährliche Sache.
Johannes: Die Gefahr ist zumindest da aber ich betrachte das Ganze recht interessiert. Wir wissen halt nur, wie es auch ohne ist. Wir sind früher einfach zu einem Freund hin und haben gefragt, ob er Zeit hat. Heute ist das anders, da schreibt man ganz unpersönlich eine SMS und gut ist es. Ich finde es schade und bedauere es, dass nicht jeder miterleben kann, wie wir auch ohne das Internet zurecht kommen.

Habt ihr ein Smartphone?
Niko: Ja klar, es geht ja nicht mehr anders, wir müssen uns ja auch anpassen. Ich ertappe mich ja selber dabei, wie ich an meinem Handy rumspiele, aber den ganzen Tag, nein danke! Ganz einfach. Das Internet abschaffen! (lacht)
Johannes: Das hört sich doch nach einem neuen Song an. (lacht)

Was wünscht Ihr Euch für Eure musikalische Zukunft?
Niko: Wir haben jetzt erst mal 10 Jahre Madsen geschafft. Das nächste Ziel sind weitere 10 Jahre Madsen aber in welche musikalische Richtung es gehen soll wissen wir noch nicht.
Johannes: Vielleicht machen wir ja in 10 Jahren Reggae (Er lacht) oder Rap oder Dubstep. Ja, das wäre es. Nein, wir wollen einfach so bleiben wie wir sind und einfach Spaß an der Sache haben, das wird das Ziel sein.

Welches Team wird Weltmeister Deutschland oder Argentinien?
Johannes: Ja, werden wir weil der europäische Fußball dem südamerikanischen Fußball überbietet. Ich tippe auf ein unspannendes eins zu null, weil sich die meisten Finalisten nichts trauen wenn es um so viel geht.
Niko: Das sehe ich genau so, zwei zu eins oder drei zu eins.
Johannes: Ich habe ja auf Belgien getippt aber die haben es ja nicht gemacht. Zum Glück ist es dann nach dem Finale vorbei.

Stört euch die Fußball Weltmeisterschaft?
Johannes: Ja schon! Wir sind zwar fußballbegeistert und tippen auch immer innerhalb der Band, aber langsam geht es einem doch recht auf die Nerven. Zumal es den ganzen Idioten keinen Grund mehr gibt, ihre Deutschlandfahnen an das Auto zu hängen. Diese Hysterie ist dann endlich zu Ende.

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