GESELLSCHAFT

„Tu jest Polska – Hier ist Polen“

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Westlichen Werte wie Liberalismus, Toleranz, Gleichberechtigung scheinen angesichts der derzeitigen Schlagzeilen der national-konservativen Partei „Recht und Gerechtigkeit“ (PiS) auf Rassismus, Ignoranz, Engstirnigkeit zu treffen – so jedenfalls deuteten Parlamentsvorsitzende und EU-Kommissare die Entwicklung in Polen.

Standpunkt möchte die aktuelle Warnung des Europaparlament (13.4.2016) vor einer Gefahr für Demokratie, Menschenrechte und Rechtsstaatlichkeit zum Anlass nehmen, das Geschehen in Polen hintergründiger, vielseitiger und vielleicht objektiver zu betrachten.

Man muss die Geschichte kennen, um die Gegenwart zu verstehen.

IMG_0173Auschwitz und Warschauer Aufstand sind Tragödien der Juden und der nicht-jüdischen polnischen Mehrheit. Seit dem Frühjahr 1940 wurden in das neu eingerichtete Konzentrationslager Auschwitz I vor allem Angehörige der katholischen Elite Polens deportiert, später auch sowjetische Kriegsgefangene. Bis zu 70 000 Häftlingen von Auschwitz I wurden von den Deutschen ermordet. In drei Kilometern Entfernung wurde auch das Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau eingerichtet.

Auch die beiden Aufstände gegen die deutschen Besatzer im Zweiten Weltkrieg in Warschau verbittert viele Polen: Im Frühjahr 1943 schlug die SS den Aufstand der „Jüdischen Kampforganisation“ grausam nieder und zerstörte das Ghetto. Im Spätsommer 1944 versuchte die Untergrundarmee AK gegenüber der heranrückenden Roten Armee die Stadt unter ihre Kontrolle zu bringen.

Durchaus zwiegespalten ist auch der Blick auf die Themen Flucht und Vertreibung: Die Flucht von Millionen Deutschen aus den Gebieten östlich von Oder und Neiße wird von polnischen Historikern der NS-Führung angelastet, die zunächst eine organisierte Evakuierung verboten hatte. Für die Vertreibung der Zurückgebliebenen werden in Polen die angeblich rechtsverbindlichen Entscheidungen der Siegermächte verantwortlich gemacht, eine Sicht, der sich nicht nur der Bund der Vertriebenen, sondern auch sämtliche Bundesregierungen bis heute nicht anschließen können.

Für die meisten jungen Deutschen ist dies alles ein abgeschlossenes Kapitel der Geschichte. In Polen sind dagegen Siege und Verluste bis heute Bestandteile der nationalen Identität ebenso wie die Werke Chopins.

Opfer- und Heldendiskurs sind Grundelemente des polnischen Selbstverständnisses.

IMG_0164Eine Reihe von Aufständen zielte auf die Befreiung der Nation von Fremdherrschaft ab. Hier sind vielleicht die tieferen Gründe für die Euroskepsis des nationalkonservativen Lagers in Polen zu suchen. Denn die Mitgliedschaft in der EU bedeutet ja Aufgabe nationaler Kompetenzen, also Kontrolle durch alle anderen, womit die deutsche Elite aufgrund der Erfahrung mit dem NS-Regime weitaus weniger Probleme hat. (Quelle: Süddeutsche Zeitung 2/2016)

Über Geschichtsbilder kann man das Denken und Handeln der Nachbarn von heute erklären.

IMG_0172Die nationalkonservative Regierung in Polen strebt die Schwächung der Gewaltenteilung und den Einfluss der Regierung auf die Medien an. Mit der Reform des Verfassungsgerichts ist die Warschauer Regierung international scharf kritisiert worden. Am 13. April 2016 warnte  das Europaparlament vor einer Gefahr für Demokratie, Menschenrechte und Rechtsstaatlichkeit. Warschau müsse die Empfehlungen des Europarats zur Wahrung der Rechtsstaatlichkeit „uneingeschränkt“ umsetzen. Vertreter der rechtsnationalen polnischen Regierungspartei Recht und Gerechtigkeit (PiS) wiesen die Kritik zurück.

Das polnische Verfassungsgericht kann nach dem neuen Gesetz nur mit einer Zwei-Drittel-Mehrheit gültige Urteile fällen. Kritik gibt es auch am Mediengesetz, durch das die Regierung über Leitungspositionen in den öffentlich-rechtlichen Medien entscheiden kann. Auch durch die stärkere Überwachung durch Telefon- und Datenausspähung ohne Gerichtsbeschluss wird der Bürger transparent.

WDR 5: Unbedingt reinhören!

Das jüngste Urteil des Verfassungsgerichts erklärte die vom Parlament verabschiedete Justizreform der nationalkonservativen Regierung in den meisten Punkten für verfassungswidrig. Premierministerin Beata Szydlo erkannte das Urteil jedoch nicht an. Da eine Veröffentlichung im Gesetzesblatt verpflichtend aber nicht geschehen ist, kann man von einer Verletzung der demokratischen Rechtsnormen sprechen.

Derzeit fordern viele Protestler in Polen die Regierung auf, die Verfassungsordnung des Landes wiederherzustellen. Die Befürchtungen der Regierungskritiker werden laut Deutschlandradio immer größer.

Ein Hintergrundblick ins Nachbarland Polen – Fotos: Dominik Rau

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