Bis 2011 war der Wehr- oder Zivildienst für junge Männer verpflichtend. Nun könnte er zurückkehren, vielleicht sogar für alle. Eine gute Idee? Wir streiten!
Von Mariya Abramova und Quang Paasch

Ja! Denn im Notfall müssen wir unsere Demokratie verteidigen
findet Mariya Abramova*
„Freiheit verteidigen. Frieden sichern. Demokratie schützen“, so wirbt die Bundeswehr für sich als Arbeitgeber. Ob man den Spruch gut findet oder nicht – er nennt bereits wichtige Gründe für eine Wehrpflicht.
Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion sieht die Bedrohung durch den Angriffskrieg Russlands in der Ukraine als ausreichenden Anlass, um junge Menschen ab 17 Jahren einzuziehen. Grundsätzlich ist es angesichts der völlig veränderten Lage in Europa seit 2011, als die Wehrpflicht in Deutschland abgeschafft wurde, auch richtig, sich auf einen Verteidigungsfall vorzubereiten. Die Gründe dafür reichen jedoch tiefer als bloße Sicherheit und Souveränität.
Gewaltenteilung, Grundgesetz, Menschenrechte sind für uns selbstverständlich. Doch wer schützt all das, wenn’s drauf ankommt?
In Deutschland können wir frei wählen und genießen Meinungs- sowie Pressefreiheit. Wir haben eine parlamentarische Demokratie, eine Gewaltenteilung und ein Grundgesetz, das uns Menschenrechte, die für uns so selbstverständlich sind, garantieren soll. Die Bundeswehr ist dafür da, diese Werte zu verteidigen. Eine Wehrpflicht würde die Einsatzbereitschaft unseres Militärs sichern und damit nicht nur die Leben vieler Menschen retten, sondern auch für das Bestehen dieser Systeme und Grundrechte sorgen.
All das wäre durch einen Angriff Russlands in Gefahr. Putin kämpft gegen die Freiheit und Demokratie in seinem eigenen Land wie auch in der Ukraine. Es geht also nicht nur darum, kampfbereit zu sein und zu zeigen, dass Deutschland sich verteidigen könnte – sondern darum, dass man für diese Werte einsteht. Wir müssen zeigen, dass die Diktatur, mit der Russland droht, in Deutschland keinen Bestand hätte.
Die Ukraine sollte ein Vorbild sein.
Dass die Ukraine nach über drei Jahren Angriffskrieg immer noch existiert und unermüdlich weiterkämpft, liegt nicht zuletzt daran, dass die Menschen dort wissen, wofür sie es tun: Sie verteidigen ihre Freiheit und ihre Demokratie. Dies sollte auch den Menschen in Deutschland einleuchten – und von der Notwendigkeit einer Wehrpflicht überzeugen, die es in der Ukraine gibt.
Doch in Deutschland zu leben, ist nicht nur deswegen ein Privileg: Der Sozialstaat sichert kostenlose Schulbildung, eine gesetzliche Krankenversicherung, unterstützt bei der Studienfinanzierung und versucht, günstigen Wohnraum bereitzustellen. Insgesamt investiert Deutschland also viel in jeden einzelnen seiner Bürgerinnen und Bürger. Eine gewisse Zeit unseres Lebens für die Erhaltung der Sozialsysteme und für Wahrung der dahinterstehenden demokratischen Werte und des Friedens einzusetzen, ist ein fairer Preis für Sicherheit und Stabilität.
*Mariya Abramova arbeitet als freie Journalistin unter anderem für die Zeit und das ZDF. Sie ist gebürtige Ukrainerin.
Nein! Denn damit verabschieden wir uns von friedlichen Lösungen
sagt Quang Paasch*
Seit der Diskussion um eine Wiedereinführung der Wehrpflicht ist das Versprechen vom europäischen Frieden plötzlich Geschichte. Politiker:innen sprechen von „veränderten Zeiten“ und machen Stimmung für mehr Bereitschaft zum Krieg.
Wer dafür herhalten soll: natürlich wieder wir jungen Menschen. Schon während der Pandemie mussten wir unsere Jugend hintanstellen. Wir nehmen bis heute marode Schulen und Universitäten in Kauf und werden die Folgen der Klimakrise bewältigen müssen. Und jetzt sollen wir uns auf den Kriegsdienst vorbereiten?
Wie in vielen anderen Krisen wird wieder über junge Menschen geredet, statt mit ihnen.
Die Wiedereinführung der Wehrpflicht wäre ein massiver Eingriff in unsere persönliche Freiheit und die selbstbestimmte Gestaltung unseres Lebens. Sie ist kaum vereinbar mit den Idealen einer liberalen Gesellschaft. Plötzlich sind meine Ziele und Pläne zweitrangig. Wie in vielen anderen Krisen wird wieder über uns Junge geredet statt mit uns – so als wären wir keine mündigen Bürger:innen.
Wir erleben derzeit eine schleichende Normalisierung von Eskalation statt Diplomatie. Weder fühle ich mich dadurch sicherer, noch glaube ich daran, dass Frieden jemals durch Aufrüstung und Zwang entstehen kann. Die Wehrpflicht wieder einzusetzen würde nichts anderes bedeuten, als dass wir uns als Gesellschaft von friedlichen Lösungen verabschieden. Die Einführung würde ein klares außenpolitisches Signal senden: Unsere Jugend ist bereit zu kämpfen. Aber das sind wir nicht.
Militarisierung ist kein Selbstzweck – sie dient meiner Meinung nach der Durchsetzung wirtschaftlicher und geopolitischer Interessen. Die Bundeswehr schützt weniger meine Freiheit, als dass sie dafür sorgt, dass Deutschland Zugriff auf globale Märkte, Rohstoffe und Handelswege behält. Man denke zum Beispiel an die Bundeswehreinsätze am Horn von Afrika, wo es unter anderem um die „Versorgungssicherheit“ für Deutschland ging
Auch eine einsatzbereite Armee garantiert keinen dauerhaften Frieden. Es braucht politische Lösungen
Wehrpflicht bedeutet für mich also: junge Menschen dazu zwingen, außenpolitische Machtansprüche abzusichern – von den Profiten der Rüstungsindustrie ganz zu schweigen. Aber was wir brauchen, ist kein Milliardenbudget für Kriege, sondern ein System, das uns Menschen in den Mittelpunkt stellt. Denn auch eine einsatzbereite Armee kann keinen dauerhaften Frieden garantieren. Stattdessen braucht es politische Lösungen.
Deswegen bin ich gegen eine Wehrpflicht. Mein Feind ist nicht die Bevölkerung eines anderen Staates, sondern der Krieg und die Ungerechtigkeit, die er mit sich bringt.
*Quang Paasch ist freier Autor, Speaker und Videograf aus Berlin.
In Kooperation mit Fluter. Dieser Text wurde veröffentlicht unter der Lizenz CC-BY-NC-ND-4.0-DE
