22 Bahnen von Caroline Wahl

Auch nach zwei Jahren erlöscht der Hype um den Bestseller 22 Bahnen von Caroline Wahl nicht. Jetzt wurde der Roman sogar verfilmt und läuft im Kino. Auf den ersten Blick ist das Buch mega – es erzählt vom Leben einer starken jungen Frau. Tilda ist Mathestudentin, arbeitet im Supermarkt an der Kasse und wohnt in einer Kleinstadt in der Nähe Berlins. Anstelle eines unbeschwerten Studentenlebens verbringt Tilda ihren Alltag damit sich um ihre jüngere Schwester und ihre alkoholsüchtige Mutter zu kümmern. Nur beim täglichen Schwimmen von 22 Bahnen im Freibad erlaubt sie es sich mal kurz abzuschalten. 

Im Laufe des Romans gewinnt man einen Einblick in Tildas Alltag. Thematisiert werden Armut, Alkoholsucht, Eltern, die die ihre Kinder vernachlässigen, und physische und psychische Gewalt. Also Themen, die in unserer heutigen Gesellschaft immer noch tabuisiert sind und über die viel mehr gesprochen werden müsste. Und genau das ist auf den zweiten Blick problematisch, denn auch wenn der Roman vielleicht zur Enttabuisierung dieser Themen beiträgt, verstärkt er gleichzeitig viele Stereotype und Glaubenssätze. Ein einseitiges und teilweise romantisiertes Bild zum Thema Armut entsteht zusätzlich dadurch, dass die Protagonisten z.B. zu den 27% der Kinder von Nichtakademikern gehört, die studieren. Dass die Autorin, Caroline Wahl, selbst Akademikertochter ist und mit keinem dieser Themen familiäre Berührungspunkte hatte, macht das ganze vor allem für Betroffene noch problematischer.

Aber auch die Inszenierung der Hauptfigur Tilda regt zum Nachdenken an. Ihr Alltag entspricht einem auf Social Media sehr weit verbreiteten Ideal – die Dauer Produktivität. Tilda gönnt sich selbst keine Pause, außer bei den kurzen täglichen Schwimmeinheiten und ist dabei auch noch ziemlich erfolgreich. In unserer Leistungsgesellschaft ist das das Ideal, wenn man hart und produktiv genug arbeitet wird man Erfolg haben. So werden Tildas Aufopferung und Produktivität als Stärke angesehen, sind aber Teil des gesellschaftlichen Drucks. 

All das heißt jetzt nicht, dass man das Buch von Caroline Wahl nicht lesen sollte. Das Buch stand ja nicht umsonst 39 Wochen auf der Spiegel-Bestsellerliste – es macht Spaß zu lesen, ist einfach verständlich und kann durchaus inspirierend sein. Man sollte beim Lesen lediglich im Hinterkopf behalten, dass es sich um eine fiktionale Geschichte und nicht um eine Biografie handelt. Und vor allem, dass das Leben in Situationen, wie Tildas oft viel komplizierter ist. Für alle die lieber Filme schauen, als Bücher lesen lohnt sich vielleicht ein Besuch im Kino. Hier läuft „22 Bahnen“ seit dem 4.09.2025.