Über diese Oper muss man sprechen.

Der Besuch der Oper „Die Passagierin“ am Theater Mönchengladbach hat bei unseren Besuchen Emotionen und Gespräche ausgelöst. Sofija und Ida haben die Vorstellung zusammen mit einem Literaturkurs besucht und ihre Eindrücke beschrieben. Besonders eindrücklich hat auch Leonie ihre persönlichen Empfindungen festgehalten. Ihr Bericht zeigt, wie stark Kunst wirken kann – gerade dann, wenn sie historische Themen nicht nur erklärt, sondern erlebbar macht.

Im November habe ich im Mönchengladbacher Theater die Oper „Die Passagierin“ besucht. Das Stück über die KZ-Aufseherin Lisa und eine der Insassinnen Martha hat mich sehr berührt und ich möchte in diesem Bericht einige meiner Gedanken mit euch teilen.  In der Schule lernt man meist nur Fakten über die Zeit des Nationalsozialismus. Auch die Konzentrationslager werden erwähnt, aber man erfährt nur Zahlen und Daten über die Anzahl von Opfern, nie oder nur selten aber eine wirkliche persönliche Geschichte. Das war bei diesem Opernbesuch anders, da man direkte Einsicht in das Leben der Menschen hatte, was bei mir auch einige Emotionen hervorgerufen hat. Die Grausamkeit und Brutalität hat man mehr wahrgenommen und dadurch, dass man die Geschichte der Protagonisten kannte, verspürte ich viel mehr ein Gefühl von Empathie. Man merkte, wie die Hoffnung auf Freiheit immer mehr verschwand und doch hielten die Insassinnen alle zusammen, wie Schwestern, obwohl sie alle verschiedene Herkunft, Vergangenheit, Träume und Ziele hatten. Ich spürte die Verzweiflung der Menschen und ich verachte die Leute, die für das Leid und die Tode von Millionen Menschen verantwortlich waren. Trotzdem darf dieses Thema nicht verschwinden, damit die Qual der Opfer niemals in Vergessenheit gerät. Man sollte annehmen, dass die Menschen aus dieser Vergangenheit gelernt haben, aber das bezweifle ich, wenn ich mir die Politik anschaue. Die AfD, eine vom Verfassungsschutz wegen ihrer rechtsextremen Einstellung beobachtete Partei, erhielt bei der letzten Bundestags Wahl 20,8% der Stimmen. Also: Setzt euch gegen Rassismus, Antisemitismus und jegliche andere Form der Diskriminierung ein und wählt demokratisch, wenn ihr verhindern wollt, dass sich diese Geschichte wiederholt.

von Leonie Herschbach


Am 7. November stand mal etwas ganz anderes auf dem Programm: Statt einer weiteren Netflix-Session ging es für uns vom „Standpunkt“-Team – zusammen mit einem Deutschkurs der Gesamtschule Hardt – in die Oper nach Rheydt. Wir waren dort, um uns die Inszenierung von „Die Passagierin“ anzusehen und darüber zu berichten. Für viele war es der erste Kontakt mit der Welt der Oper.
Das Stück basiert auf dem Roman von Zofia Posmysz, die Auschwitz überlebt hat. Die Story ist tiefgründig und packend: Eine ehemalige SS-Aufseherin trifft Jahre nach dem Krieg auf einem Luxusdampfer eine frühere Gefangene wieder.
Die Inszenierung hat uns direkt reingezogen. Es war viel los auf der Bühne, die Wechsel zwischen der schicken Kreuzfahrt-Kulisse und den düsteren KZ-Rückblenden haben uns emotional hin- und hergerissen. Das Ende ließ uns alle etwas nachdenklich zurück, wie ein befragter Mitschüler meinte: Es war „undeutlich“, aber auf eine gute Art, die zum Nachdenken anregt.

Wir waren uns einig: Die Umsetzung in Rheydt war top. Das Skript oben auf der Bühne (die Übertitelung) hat super geholfen, alles zu verstehen – ohne das wäre es echt schwer gewesen, den vielen Sprachen und der Story zu folgen.
Aus unserer Sicht war das Thema Holocaust und Erinnerungskultur mega interessant und emotional aufgearbeitet. Die Produktion war ein eindrucksvolles Erlebnis. Es zeigt, dass diese Kunstform durchaus jung sein kann und uns wirklich abholen konnte.

„Die Passagierin“ war eine wertvolle Pressereise. Es war eine krasse, eindringliche Erfahrung, die uns gezeigt hat, wie wichtig es ist, sich mit der Geschichte auseinanderzusetzen. Wer die Chance hat, sich das anzuschauen, sollte sie nutzen. Es lohnt sich!

Von Sofija Ugrinouska und Ida Kneitz


Es gab sogar eine Gelegenheit mit den Beteiligten des Theaters selbst ins Gespräch zu kommen. Viele der Fragen und Gefühle, die während des Opernbesuchs entstanden waren, wurden hier weitergedacht. Der Literaturkurs traf auf vier Gäste aus dem Theater Mönchengladbach, die offen über ihre Arbeit, ihre Rollen und die Herausforderungen dieser besonderen Produktion sprachen und damit den Blick auf „Die Passagierin“ noch einmal aus anderen Perspektiven vertieften.
Das Gespräch fand am 13. November zwischen dem Literaturkurs von Nina Kamlah an der Gesamtschule Hardt und den Hauptdarsteller*innen Sofia Poulopoulou und Rafael Bruck, der Dramaturgin Ulrike Aistleitner und der Theaterpädagogin Silvia Behnke aus dem Theater Mönchengladbach statt.

Ulrike Aistleitner, Silvia Behnke, Rafael Bruck, Sofia Poulopoulou und Nina Kamlah

Schon zu Beginn des Gesprächs zeigte sich, wie intensiv die Darstellerinnen und Darsteller ihre Rollen entwickeln. Rafael Bruch erklärte, dass er auf der Bühne innerlich „einen Schalter umlegt“ und dann nicht mehr Rafael, sondern Tadeusz sei. Im besten Fall sei er nur noch „zehn Prozent er selbst und neunzig Prozent die Rolle“. Sofia Poulopoulou ergänzte, Lampenfieber gehöre für sie dazu und das Auf-der-Bühne-Stehen selbst wirke beruhigend, weil man im Moment bleibe und gar keine Zeit habe, weiterzudenken.

Auch über Proben und Vorbereitung sprachen beide offen: tägliche Abläufe, das Einstudieren von musikalischen Phrasen, das Zusammenspiel mit Text, Sprache und Bewegungen. Rafael erzählte, dass bei den Proben zunächst mit provisorischen Requisiten gearbeitet werde, die nach und nach durch die echten ersetzt würden.

Ein besonderes Thema war die Szene, in der Tadeusz auf der Geige spielt. Rafael Bruch erzählte, dass er vor seinem Schauspielstudium sogar darüber nachgedacht hatte, Geige zu studieren. Deshalb stand für ihn kurz im Raum, das Stück in der Szene wirklich live zu spielen. Doch die Passage sei eine der schwierigsten überhaupt, und dafür hätte er wesentlich mehr Zeit für intensive Vorbereitung gebraucht, als im Produktionsprozess möglich war.

So übernahm schließlich die Konzertmeisterin des Orchesters den Originalton – und Rafael simulierte das Spiel auf der Bühne. Durch seine Vorerfahrung konnte er die Szene jedoch so exakt nachbilden, dass das Zusammenspiel vollkommen überzeugend wirkte.

Ein großer Gesprächsteil drehte sich um die Bühne und die Darstellungsebenen. Viele Schülerinnen und Schüler hatten Elemente wie den immer wiederkehrenden Blumenstrauß, die maskierten Figuren oder die Zeitwechsel zunächst realistisch verstanden. Sie beschrieben, dass sie vieles „so genommen haben, wie es war“, ohne die surrealen, poetischen Ebenen wahrzunehmen. Ulrike Aistleitner erklärte dazu, dass die Regisseurin bewusst nicht realistisch arbeiten wollte. Der Wechsel des Blumenstraußes zwischen Gegenwart und Vergangenheit oder die junge Frau in Schwarz seien „surreal“ und „poetische Angebote“, die man nicht logisch verstehen müsse.

Ein weiterer Punkt, der im Gespräch eine große Rolle spielte, war das Singen in mehreren Sprachen. Rafael und Sofia beschrieben, dass sie die Texte – auch in Sprachen, die sie vorher nicht beherrschten – zunächst lernen mussten. Erst danach konnten sie die Phrasen musikalisch und szenisch einstudieren.

Eine Schülerin sagte, dass die vielen Sprachen – Polnisch, Deutsch und andere – für sie ein starkes Zeichen gewesen seien. Sie erklärte:

„Das hat mir noch einmal bewusst gemacht, dass das nicht nur ein Land betroffen hat, sondern die ganze Welt – und dass im Lager so viele unterschiedliche Menschen zusammenkamen.“

Gerade die musikalischen Momente, in denen die Insassinnen in verschiedenen Sprachen singen, wirkten für einige besonders eindringlich. 

Die Schüler*innen beschrieben ihre ersten Erfahrungen mit der Musik einer Oper: Sie sei laut und manchmal schwer zu verstehen gewesen, aber man gewöhne sich „irgendwann daran“, besonders wenn man den Text mehrmals gehört habe.

Hier schaltete sich Theaterpädagogin Silvia Behnke ein und erklärte, dass Gesang Emotionen verstärken könne: „Musik spricht anders an als gesprochener Text.“ Sie fragte die Schüler*innen auch, was ihnen der Opernbesuch ergänzend zum bisherigen Wissen über die Zeit des Nationalsozialismus gebracht habe.

Darauf meldeten sich eine Schülerin zu Wort – und beschrieb, dass die Oper ihnen die Brutalität viel deutlicher spürbar gemacht habe. Besonders die Duschszene, gespielt von Rafael Bruch, wurde hervorgehoben:

Während man aus Geschichtsbüchern und sogar von Gedenkstättenbesuchen eher sachliche Informationen erhalte, habe man in dieser Szene körperlich begriffen, wie ausgeliefert und verletzlich die Menschen gewesen sein mussten.

Auch die anderen Schülerinnen und Schüler machten deutlich, welche Szenen ihnen am stärksten im Kopf geblieben sind: der letzte Momente vor der Gaskammer, die Gesichter und Stimmen der Insassinnen, die Eröffnungsszene und das Bühnenbild auf dem Schiff und die Begegnungen zwischen Marta und Tadeusz.

Auffällig war, dass viele auf die Frage, was die Oper in ihnen ausgelöst hat, zunächst kaum Antworten fanden. Gefühle zu beschreiben fiel schwer – oft wurden stattdessen Beobachtungen oder Inhaltsfragen genannt. Genau dies bestätigte die Theaterpädagogin: Man müsse nicht sofort benennen können, was man gefühlt habe; Kunst wirke manchmal erst später oder im Unterbewusstsein.

Im weiteren Verlauf erzählten die Darstellerinnen, wie man Gefühle auf der Bühne ausdrücken kann, auch wenn man diese nicht real erlebt. Sofia Poulopoulou erklärte, dass „realistisch“ nicht bedeute, dass man die Emotion wirklich empfinde. Stattdessen könne man Gefühle symbolisch oder assoziativ spielen. Rafael Bruch ergänzte, dass intensive Szenen manchmal mit Partnerinnen gespielt werden, die man vorher kaum kennt, und dass bestimmte Momente sogar erst in der Aufführung selbst „zum ersten Mal wirklich passieren“. Die Bühne sei ein geschützter Raum, in dem man sich verletzlich zeigen könne, ohne privat verletzt zu werden.

Am Ende wurde deutlich, dass der Opernbesuch alle in irgendeiner Weise berührt und für ein Thema sensibilisiert hat bei dem es um menschliche Tragödien, Verdrängung und Wahrheit geht . Auch wenn viele Schülerinnen und Schüler ihre Gefühle nicht konkret benennen konnten, haben sie Bilder und Momente mitgenommen, die weiter nachwirken.

Aus dem Gespräch konnten die Kursteilnehmenden außerdem einiges aus der schauspielerischen Praxis erfahren. Interessant in sofern, da sie gerade an einem eigenen Theaterstück arbeiten, das sie am Ende des Schuljahres selbst auf die Bühne bringen werden. Nina Kamlah ergänzte mit einem Schmunzeln, dass es dabei allerdings deutlich leichter zugehen werde als in „Die Passagierin“: Das Stück des Literaturkurses werde eine Komödie zum Thema Zeitreise.
Wir bleiben gespannt und werden vielleicht auch berichten.