Wenn Demokratie ins Gespräch kommt – und unter Druck gerät

Die Zentralbibliothek Mönchengladbach war am vergangenen Donnerstagabend voll. Im WandelSaal fand am 6. November die dritte Veranstaltung der Reihe „Vier Feiertage für die Demokratie“ statt – diesmal mit dem Thema „Demokratie – Unter Druck“.

Fünf Kommunalpolitiker:innen – Oberbürgermeister Felix Heinrichs (SPD), Dieter Breymann (CDU), Laura Steeger-Franke (Grüne), Natascha Stephan (FDP) und Sebastian Merkens (Linke) – sprachen mit Moderatorin Sema Kouschkerian darüber, wie Demokratie in schwierigen Zeiten bestehen kann.

Von Beginn an war klar: Es sollte keine hitzige Debatte werden, sondern ein Gespräch, bei dem zugehört und nachgedacht wird. Alle waren sich einig: Demokratie braucht Menschen, die mitmachen – nicht nur zustimmen. Politische Bildung müsse wieder Teil des Alltags werden.

Miteinander statt Gegeneinander

Mehrere Redner:innen sprachen das Misstrauen bei vielen Menschen an – das Gefühl, dass „die da oben“ sowieso machen, was sie wollen. Doch alle waren sich einig: Nur wenn man miteinander redet, sich und sein Tun erklärt, kann dieses Misstrauen verschwinden. Das geht am besten durch persönliche Begegnungen – auf der Straße, im Viertel oder an der Haustür.

Felix Heinrichs erzählte von seinen Erfahrungen im Haustürwahlkampf. Anfangs sei ihm dabei etwas mulmig gewesen, weil man nie wisse, wer einem öffne. Doch die meisten Begegnungen seien freundlich und respektvoll verlaufen – oft sogar überraschend positiv. Demokratie entstehe, so sagte er, dort, wo Menschen sich wirklich begegnen.

Der Oberbürgermeister machte klar, dass Demokratie keine Komfortzone sei, sondern „ständige Arbeit am Wir“. Besonders betonte er, wie wichtig persönliche Ansprache im Wahlkampf sei: „Menschen wollen gesehen werden – nicht nur über Social Media, sondern an der Haustür.“

Dieter Breymann (CDU) sagte, seine Partei sei „mehr als Merz“ und vielfältiger, als sie oft dargestellt werde. Er gab zu, dass die CDU viele Menschen verloren habe – vor allem jene, die sich „übergangen“ fühlten. Trotzdem sei er überzeugt: Demokratie funktioniere nur, wenn man bereit sei, einen Standpunkt einzunehmen – aber auch bereit ist, ihn zu überdenken.

Laura Steeger-Franke (Grüne) sprach darüber, „dass Politik wieder das Zuhören lernen muss“. Sie erzählte, dass sie anfangs Hemmungen gehabt habe, im Haustürwahlkampf auf Menschen zuzugehen. Heute suche sie diesen Kontakt bewusst: „Face-to-Face-Kommunikation ist ehrlicher.“ Politik könne emotionaler sein, ohne die Sachebene zu verlieren. Wichtig sei, sich selbst auch einmal zurückzunehmen und „mehr auf die Bürger:innen zu achten“.

Natascha Stephan (FDP) erklärte, wie wichtig es sei, mit Menschen im Gespräch zu bleiben – auch mit denen, die anderer Meinung sind. Sie versuche, in der politischen Kommunikation „Diversität zu vermitteln und den Ton zu wahren“. Besonders beeindruckt habe sie eine Frau, die von ihrer Fluchtgeschichte erzählte – ein Moment, der ihr gezeigt habe, wie notwendig Mitgefühl und offene Diskussion seien.

Sebastian Merkens (Linke) lobte, dass es in Mönchengladbach viele persönliche Kontakte zwischen den Parteien gebe. „Mönchengladbach ist in dieser Hinsicht nicht so schlimm, wie man oft denkt“, sagte er. Er sehe sich selbst als politischen Menschen, der Haltung zeige, aber auch bereit sei, sich zu hinterfragen.

Als gute Beispiele nannten die Politiker:innen Bürgerhaushalte und lokale Projekte, bei denen Bürger:innen mitreden und mitentscheiden können. Die Stimmung im Saal war offen, aufmerksam und respektvoll.

Viel Einigkeit – fast

Die Runde verlief überraschend harmonisch: wenig Streit, viel Zustimmung. Alle waren sich einig, dass Mönchengladbach eine Stadt ist, auf die man stolz sein kann – weil hier viel erreicht wurde und viele Menschen sich einbringen – auch ehrenamtlich.

Mehrere Redner:innen warben dafür, die Stadt positiver zu sehen. „Wir leben in einer wundervollen Stadt“, sagte Natascha Stephan. Heinrichs ergänzte, dass viele Menschen überrascht seien, wie positiv der persönliche Austausch verlaufe, wenn man ins Gespräch komme.

Das Publikum hörte aufmerksam zu. Viele nickten, als Sebastian Merkens sagte: „Man müsse sich bewusst machen, dass Demokratie nicht im Netz stattfindet, sondern in Begegnungen, in Gesprächen, in Bibliotheken wie dieser.“

Der Aufreger aus dem Publikum

Die nahezu entspannte Atmosphäre änderte sich, als in der laufenden Diskussionsrunde ein Mann aus dem Publikum aufstand. Ein AfD-Mitglied beschwerte sich, dass er nicht zur Diskussion eingeladen worden sei und kritisierte fehlende Toleranz gegenüber den Einstellungen seiner Partei. Er hinterfragte die demokratische Toleranz gegenüber anders Denkenden.

Felix Heinrichs stellte klar, dass Demokratie nicht alle Meinungen automatisch akzeptiere, sondern nur die, „die auf Menschenwürde und Gleichheit beruhen“.

Dieter Breymann reagierte mit einem Verweis auf den Philosophen Karl Popper: Eine offene Gesellschaft müsse sich gegen ihre Feinde wehren – besonders gegen die, die Freiheit nutzen, um sie abzuschaffen. Er zog einen klaren Vergleich zu den „faschistischen Gedanken aus Björn Höckes Buch“, die diesem Prinzip widersprechen.

Sebastian Merkens ergänzte, dass das Menschenrecht die Grundlage jeder Demokratie sei – und dass die AfD diese Basis zerstöre, weil sie bestimmte Gruppen ausschließe. Er sei als Mitglied der Linken antifaschistisch und somit klar gegen jedwede faschistische Partei.

Laura Steeger-Franke fasste es zusammen: „Demokratie heißt Haltung. Wer sie missbraucht, um zu spalten, verlässt ihren Boden.“

Moderatorin Sema Kouschkerian reagierte ruhig, aber bestimmt. „Wir sind hier, um demokratisch und über Demokratie zu diskutieren, nicht um andere herabzuwürdigen.“ Das Publikum klatschte zustimmend.

Der Moment war angespannt, aber wichtig. Er zeigte, dass Demokratie auch bedeutet, Grenzen zu setzen. Nach kurzem Unruhe-Murmeln kehrte die Diskussion zur Sachlichkeit zurück – begleitet von Applaus für die klaren Worte.

Unsere Demokratie steht auf drei Säulen

Leider blieb die Diskussionsrunde einige Aspekte der Demokratie schuldig. Diese wurden in der Diskussion kaum angesprochen, sind aber entscheidend für das Funktionieren der Demokratie.

So ist eine wesentliche Grundlage unserer Demokratie die Gewaltenteilung. Sie besteht aus der Legislative (die Gesetze macht), der Exekutive (die Gesetze umsetzt) und der Judikative (die Recht spricht). Diese drei Bereiche sollen sich gegenseitig kontrollieren und ausgleichen – man nennt das „Checks and Balances“. So wird verhindert, dass Macht zu groß, zu einseitig oder willkürlich wird.

Gerade in den USA lässt sich beobachten, was passiert, wenn dieses Gleichgewicht unter Druck gerät: Wenn politische Lager Gerichte oder Behörden angreifen, um Entscheidungen zu beeinflussen.

Solche Entwicklungen sollten uns eine Warnung sein – denn auch hierzulande werden diese Institutionen immer öfter in Frage gestellt oder gezielt geschwächt. Damit verknüpfen sich auch die Worte von Karl Popper, die an diesem Abend fielen: Eine offene Gesellschaft muss sich gegen ihre Feinde wehren – also gegen jene, die Freiheit und Recht nutzen, um beides abzuschaffen.

Dieser Gedanke beschreibt genau, wie demokratische Systeme mit Rechtspopulismus umgehen müssen: mit Klarheit, Haltung und Grenzen.

Was fehlte – und was bleibt

Trotz der vielen Einigkeit gab es weitere Lücken: Über digitale Demokratie und die Rolle sozialer Medien wurde kaum gesprochen. Auch die Sicht junger Menschen – etwa aus Jugendparlament oder AStA – kam zu kurz. Und obwohl viel über Nähe und Dialog gesprochen wurde, blieb offen, wie diese Beteiligung im Alltag wirklich aussehen kann.

Ein Punkt stand aber außer Frage: Demokratie ist tägliche Arbeit. Oder, wie Heinrichs sagte: „Man muss bereit sein, seinen Standpunkt einzunehmen, aber auch zu überdenken.“

Am Ende zeigte dieser dritte Teil der Reihe: Demokratie gerät nicht dann unter Druck, wenn Menschen streiten – sondern, wenn sie aufhören, miteinander zu reden. Der Abend im WandelSaal bewies, dass Respekt und offener Austausch wichtiger sind denn je.

Yilmaz Holtz-Ersahin, der Leiter der Stadtbibliothek und Initiator der Reihe, brachte es am Schluss auf den Punkt: „In unseren Regalen stehen Bücher verschiedenster Meinungen friedlich nebeneinander. Genau das ist unser Auftrag als Gesellschaft.“

Dieser Beitrag entstand als Teamarbeit. Grundlage waren Stichpunkte und Audiomitschnitte der anwesenden Redakteur:innen und Fotografinnen, die den Abend dokumentierten. (Ida, Sofija, Annika, Lina, Niko, Justus aus dem Standpunkt-Team)