STATEMENTS ☛ „97% der Schüler besitzen internetfähige Geräte.“ ☛ „Es gibt keinen Grund Smartphones aus der Schule zu verbannen.“ ☛ „Medienerziehung ist keine Option — es ist die Pflicht der Schule. Dazu gehören auch Smartphones.“ ☛ „Verbote führen nicht zum Ziel.“
Es gibt Leute, die sagen: „Früher war vieles besser“. Schüler schrieben sich im Unterricht Nachrichten auf kleine Zettel, die sie dann zusammenkitteten und anschließend durch den Klassenraum wandern ließen. Früher, und der Begriff scheint durchaus nicht übertrieben, waren Handys klein und und aus Plastik, bestanden aus einem Ziffernblock, einem fingernagel-großen Display und einer aus der oberen Seite ragenden Antenne. Sie waren bunt, verfügten über zwölf nervige Klingeltöne und zwei fest installierte Spiel und waren vorrangig zum telefonieren und SMS schreiben da. Mit den Handys, diesen kleinen mobilen Maschinen, zog der Ärger in die Klassenräume ein: Schüler schrieben keine romantischen Zettelchen mehr, sie tippten jetzt auf ihren Handys herum, waren unaufmerksam, störten dadurch irgendwie den Unterricht. Mit dem Einzug des Handys in die Schule hatte das gute alte Zettelchen ausgedient, das nunmehr zur Ikone stilisiert wird. Es musste einer Neuerung, einem modernen Medium weichen. Und trotzdem war es früher besser. Denn man hatte ja das Handyverbot.
Ein prominentes Relikt aus dieser Zeit, in der diese Art Handys im Besitz vieler Schüler waren, ist ein Schild, das, in Manier eines Verkehrsschildes, ein ebensolches Handy zeigt – von einem roten Balken durchgestrichen. Es besagt: Handys sind hier verboten. Denkt man heute darüber nach hatte dieses Schild ja durchaus seine Berechtigung: die Schüler wurden mit dem Handy an ihrer Seite weniger aufmerksam, schrieben Nachrichten an Menschen, die irgendwo nur nicht im gleichen Klassenraum saßen und ab und an klingelte eines dieser Geräte und sorgte damit für Aufruhe und Unterrichtsunterbrechungen. Die wirklichen Vorteile dieser Geräte suchte man irgendwie vergebens: immerhin, Eltern konnten ihre Kind nun erreichen wenn irgendetwas passiert war (zwar passierte kaum etwas, aber der Notfall wurde stets in Erwägung gezogen).
Es gibt (oder gab) solche Schilder mit durchgestrichenen Handys an vielen Schulen. Die wenigsten störten sich an ihnen, sie wurden ignoriert, oder man hielt sich an sie, oder auch nicht. So viele Menschen hatten nun auch kein Handy und im Unterricht schaltete man es halt aus wenn man wusste: dieser Lehrer mag mein Handy nicht.
Früher da war das so. Heute ist alles anders. Früher ist drei oder vier Jahre her. Und trotzdem hat sich viel verändert. Handys sehen anders aus, sie haben große Bildschirme, gute Kameras. Man kann mit ihnen Musik hören und machen, Audio-Tracks aufnehmen und abmischen, Videos drehen, schneiden und ansehen, durch (meist kostenlose) Mini-Programme werden die Kleingeräte fast zum mobilen Büro – das Handy ist kein Handy mehr. Im evolutionären Prozess ist es zum Smartphone geworden, zum schlauen Telefon. Aus dem Kommunikationsmedium, das zwei Fahrspuren kannte (das Telefonieren und die SMS) ist ein Multiwerkzeug geworden, ein modernes Schweizer Taschenmesser. Und neben neben nunmehr vielfältigen Kommunikationskanälen lässt es als solches auch Medienkonsum und Medienkreation zu. Und ganz entscheidend: die Zahl der Schüler, die ein Smartphone oder einen internefähigen MPG4-Spieler besitzen (am prominentesten unter ihnen ist Apples iPod touch) steigt in allen Altersgruppen stark an, es gibt Untersuchungen, die von einer Besitzquote von über 97% ausgehen. Dabei nutzen junge Menschen ab dreizehn es intensiv und räumen der Hosentaschenelektronik als stetigem Begleiter eine zentrale Positionen im alltäglichen Leben ein.
Schulen brüsten sich damit Medienkompetenz zu vermittelt und jungen Menschen zu zeigt, wie man mit „Medien“ umgeht, sie kritisch reflektiert und sinnvoll einsetzt. Das tun sie auch, viele Lehrer unterstützen die Mediennutzung im Unterricht und werden dabei durch tolle technische Mittel (oder Spielzeuge) wie Smartboards oder Schullaptops unterstützt. Das ist gut, das ist wichtig. Zum einen weil es ein Basiswissen zur Computernutzung vermittelt, zum anderen weil es das Schülerengagement im Unterricht erhöhen kann (Medienpädagogen fallen hier sicher noch mehr Gründe ein). Niemand würde heute auf die Idee kommen Computer, Laptops, iPads oder Beamer in der Schule zu verbieten.
Da kann man es kaum verstehen, dass Smartphones als alltagsbestimmende Gegenstände eben doch aus der Schule verbannt werden sollen. Tatsächlich denken einige Lehrer (vielleicht auch Eltern) im Zuge einer definierten Neuregelung für die Mediennutzung an Schulen darüber nach. Auch wenn der Umgang mit Handys zur Zeit nicht der schlechteste ist, kann gegen eine solche Neuordnung durchaus nichts gesagt werden – vorausgesetzt sie formuliert keine unsinnigen Verbote.
Die Schule muss ihrer Pflicht nachkommen!
Im Schulgesetz ist ausdrücklich formuliert, dass Schülerinnen und Schüler lernen sollen „mit Medien verantwortungsbewusst und sicher umzugehen“. Das meint zum einen Computer und Laptops, ja. Aber heute eben auch Smartphones. Schüler haben ein Recht darauf zu erfahren, wie sie verantwortungsvoll mit ihrem Smartphone umgehen und zum Beispiel das Internet nutzen können. Und dieses Recht ist im Umkehrschluss eine Pflicht, nämlich die der Schule. Sie muss diese Aufgabe übernehmen und sollte sich damit auseinandersetzen, wie wichtige Schlüsselqualifikationen vermittelt werden können. Im Idealfall kann das Smartphone zum alltäglichen Lernwerkzeug werden, mit dem aktiv gearbeitet werden kann. „Holt mal Eure Handys raus, für die, die keines haben, habe ich hier Laptops mitgebracht“ – das könnte an unserer Schule sofort umgesetzt werden. Und es würde gegenüber einem Gang in den Computerraum effektive Zeit sparen. Auch das offene W-LAN-Netzwerk der Schule lädt geradezu danach ein. Gefragt ist ein konstruktiver Umgang, kein verdrängender. Damit würde man sich in guter Schultradition bewegen. Besonders Schulen, die in Sachen Medien immer eine Nasenlänge vorauswarfen müssen hier wieder aktiv werden — ein solcher Schritt voraus muss jetzt wieder gemacht werden.
Die Schule hat hier eine zentrale Verantwortung, besonders den Schülern gegenüber, die Zuhause den richtigen Umgang mit Medien nicht lernen. Vielleicht auch, weil Eltern sich selber mit neuen Techniken kaum auskennen.
Vielleicht behaupten das auch einige Lehrer von sich, dass sie bei so viel Innovation, so vielen neuer Technik nicht Schritthalten können – und wollen. Das kann man ein bisschen verstehen, denn es scheint tatsächlich schwer bei all dem Schnickschnack, der jedes Jahr released wird noch den Überblick zu behalten und zu verstehen wie man genau DAS jetzt im Unterricht einsetzten kann. Darum geht aber eben nicht. Wie das neue Retina-Display und der A5 Chip des iPhones den Unterricht ergänzen in völlig belanglos. Vielmehr geht es grundsätzlich um die Nutzung mobiler Elektronik.
Dabei soll natürlich kein Freifahrtsschein für alle möglichen technischen Spielzeuge herauskommen, die einem bei der ein oder anderen Mathearbeit helfen, in den Pausen die Gänge mit lauter Musik füllen und immer auf dem Tisch liegen um im Zweifel vom Unterricht ablenken können. Vielmehr gilt es die Chance, die in den kleinen Geräten liegt zu erkennen, die Möglichkeiten, die sie bieten. Der Computerraum gehört an anderen Schulen schon der Vergangenheit an. Mobile Geräte, die sofort zur Verfügung stehen sind gefragt. Warum sollte man Mittel, die schon vorhanden sind, nicht nutzen?
Zudem müsste man sich bei einem erlassenen Handy-Verbot fragen, wen ein solches überhaupt beträfe. Wie wir schon festgestellt haben, die Smatphones wohl kaum. Und wenn man die auch verböte? Ein „Digitalverbot“, sozusagen? Dann müssen wir auch Laptops und Computer und Beamer und … also kommt es wohl kaum in Frage. Und noch problematischer ist die Aussage, die hinter einem solchen Verbot stünde. Ein Verbot ist eine Kapitulation, schlimmer noch: ein Verdrängen. Und Verdrängung kommt der Idee von Schule (besonders unserer Schule) nun überhaupt nicht nach. Und dem Wunsch und Anspruch vieler Schüler auch nicht. Die Augen zuzukneifen hat noch nie geholfen.
Worüber müssen wir also reden? Nicht über neue Medien selber, die sind erstmal da und sie verschwinden so schnell auch nichtmehr. Reden müssen wir über den falschen Umgang mit Medien und wie diesem begegnet werden kann. Nicht in der fünften Klasse, auch nicht in der sechsten oder siebten Klasse. Aber spätestens dann wenn wir merken: hier ist der Umgang falsch, hier muss sich etwas ändern.
Und schließlich gilt für falsch eingesetzte Smartphones im Unterricht das gleich, was auch für die Zettelchen galt, die einmal durch die Klasse geschickt wurden und dabei alle nervten: Was den Unterricht stört landet auf dem Lehrerpult.
Der Beitrag erschien 2013 in der Printausgabe von standpunkt.