„Eigentlich wollte ich Elefant werden.“

Wenn du Weihnachten die Familie triffst und alle schon wieder fragen, was du mal werden möchtest, antworte einfach: „Eigentlich möchte ich mal Elefant werden.“ Einer der berühmtesten Künstler der Welt hat genau das im Interview mit einem großen Kunstmagazin auf die Frage, ob er schon immer Künstler werden wollte, geantwortet. Bei William Kentridge ist das aber halb Witz, halb Wahrheit und ziemlich typisch für ihn.

William Kentridge (2025) — Foto: Mozamaniac, via Wikimedia Commons, unter CC BY-SA 4.0 (https://creativecommons.org/licenses/by-sa/4.0/)

Als Auftakt unseres ReLease zur neuen „Museumstester“-Rubrik veröffentlichen wir heute einen Gastbeitrag von Dorothée Vollmer. Sie hat die große Retrospektive „Listen to the Echo“ im Museum Folkwang in Essen besucht, eine Ausstellung anlässlich des 70. Geburtstags von William Kentridge.

Der 1955 in Südafrika geborene Künstler gehört heute zur absoluten Weltspitze, aber sein Weg dorthin war alles andere als gerade. Als Teenager wollte er Dirigent sein. Oder Architekt. Oder Schauspieler. Alles scheiterte. Also wurde er Künstler, sagt er und rückblickend meint er trocken:

„Es tut mir nicht einmal mehr leid, dass ich kein Elefant sein kann.“

Genau dieser Mix aus Humor, Selbstironie und Tiefsinn macht ihn s0 spannend. Bei Kentridge muss niemand „Kunst verstehen“. Man muss nur Lust haben auf Chaos, Ideen und eine Welt, in der ein Stuhl plötzlich zum Baum wird.

Kentridges Studio in Johannesburg ist kein Insta-Perfektionstempel, sondern eher eine Mischung aus Werkstatt, Papierhöhle und Gedankenchaos: Kohle, Tinte, riesige Blätter, Regale voller Kram und überall kleine italienische Espressokannen, die in seinen Filmen sogar Mini-Rollen bekommen. Ein Atelier wie ein kreativer Dschungel

Szenografie in der Ausstellung zu William Kentridge „Listen to the Echo“ im Museum Folkwang Essen.

Zeichnen ist für ihn so etwas wie ein mentaler Reset-Knopf. Während andere scrollen, zockt oder Sport machen, radiert Kentridge Kohle weg, zeichnet neu, radiert wieder und filmt das Ganze mit stoischer Geduld.

Seine berühmten „Drawings for Projection“ funktionieren wie Zeitreisen auf Papier: Eine einzige Zeichnung wird immer wieder verändert. Alles, was einmal da war, bleibt als Schatten sichtbar wie Erinnerungen, die man nie komplett löschen kann.

In seinen Animationsfilmen tauchen immer wieder drei Figuren auf: Soho Eckstein, ein reicher Boss zwischen Immobilien und Minen, Felix Teitlebaum, sein sensibles Gegenstück und Mrs. Eckstein, um die sich beide drehen. Diese Charaktere leben in Johannesburg, einer Stadt, die wegen des Gold- und Kohleabbaus überhaupt existiert und in der ständig alles in Bewegung ist. Genau wie in seinen Filmen: Ein Baum wird Feuer. Feuer wird Rauch. Rauch wird ein Gesicht. kentridge sagt: „Die Welt ist ein Prozess.“ Das zeigen auch seine Filme es. Geschichte, Flucht und die Frage: Wohin eigentlich?

Video zur aktuellen Ausstellung „Listen to the Echo“ im Museum Folkwang in Essen.

In Arbeiten wie „To Cross One More Sea“ und der Oper „The Great Yes, The Great No“ mischt Kentridge historische Fluchtrouten mit heutigen Fragen: Was passiert, wenn Menschen alles hinter sich lassen müssen? Wer hat Privilegien und warum? Hier tauchen berühmte antikoloniale Stimmen wie Frantz Fanon oder Suzanne und Aimé Césaire auf, aber nicht als Schulbuch-Stoff, sondern als lebendige Figuren in einem Geflecht aus Hoffnung, Angst und politischem Aufruhr. Und man bleibt mit der Frage zurück: „Wohin fliehen die Boote ?“

Kentridge kann aber auch komplett weird. Zum Beispiel in seinen Arbeiten zu Nikolai Gogols absurde Story „Die Nase“, in der eine Nase allein durch St. Petersburg spaziert, inspirierte Dmitri Schostakowitsch 1930 zu einer wilden, satirischen Oper. Diese brachte William Kentridge 2010 an die Metropolitan Opera in New York, wo seine Inszenierung mit Projektionen, Collagen und politischem Witz gefeiert wurde.

Selbst riesige handgewebte Tapisserien (Teppiche), die aus gerissenen Papierfiguren auf alten Landkarten bestehen, nutzt er als „Leinwand“ für seine künstlerischen Auseinandersetzungen. Sie zeigen Menschen, die Lasten tragen und sind eine bildliche Bühne für Migration, Bewegung und das Unterwegssein.

Das Überraschende: Kentridges Kunst wirkt nicht elitär, sondern erstaunlich menschlich. Er zeigt Fehler, Radierwolken, Überreste, unfertige Linien. Genau das macht seine Arbeiten so relatable. Er selbst sagt: „Ein Achtjähriger könnte meine Animationen machen.“ Das stimmt natürlich nur halb aber die Idee dahinter ist sympathisch: Du musst nicht perfekt sein, um etwas Großes zu schaffen.

„Listen to the Echo“ – Die XXL-Ausstellung zu seinem 70. Geburtstag

WDR Beitrag mit Künstlerinterview und Information zur Ausstellung

Im Museum Folkwang in Essen könnt ihr bis 18. Januar die große Ausstellung „Listen to the Echo“ sehen. Dort gibt’s Animationsfilme, Zeichnungen, Installationen, Skulpturen, Mehrkanal-Videos und 50 Jahre Ideen, Chaos, Politik und Energie.

Szenografie Ausstellungsmodell „Listen to the Echo“ im Museum Folkwang Essen.

Keine trockene Kunstshow, sondern ein Erlebnis wie ein Spaziergang durch ein lebendiges Notizbuch, nur eben riesig groß. Da solltest du unbedingt hingehen, auch wenn du noch nie in einem Museum warst, denn Kentriges Kunst erklärt sich selbst und braucht keine Vorbildung. Sie ist witzig, schräg, manchmal unfreiwillig komisch und zeigt Mut zum Fehler. Und: Sie macht Lust, selbst kreativ zu werden. Wenn ihr mehr Lust auf Tipps und Erfahrungen zu Ausstellungen und Künstkern habt, dann schaut doch mal bei den Berichten unserer Museumstester, die im nächsten Jahr für Euch unterwegs sein werden vorbei. Noch mehr würden wir uns über eine Begleitung auf den Ausflügen freuen. Schreibt uns auf WA oder per mail redaktion@standpunktonline.com