Der Terror der Dschihadisten im Irak ist weit weg von Deutschland – und doch hat er etwas mit uns zu tun. Denn unter den ISIS-Kriegern sind auch deutsche junge Männer, die in Deutschland zu radikalen Islamisten und für den „Heiligen Krieg“ gezielt angeworben wurden.
Ein prominentes Beispiel ist der Berliner Denis Cuspert alias Deos Dogg, der in der deutschen Hip-Hop-Szene aktiv war und heute unter dem Namen Abu Talha al-Almani für die Extremistengruppe „Islamischer Dschihad im Irak und in Syrien“ (ISIS) kämpft. Er trat zunächst als salafistischer Prediger auf und zog dann an der Seite gewaltbereiter Islamisten in den so genannten „Heiligen Krieg“.
ISIS gilt unter den radikalen Milizen, die in der Region unterwegs sind, als die aggressivste Gruppe. Die meisten von ihnen sind Salafisten – eine besonders konservative Strömung, die eine idealisierte Vorstellung eines „ursprünglichen Islam“ hat. Salafismus ist eine radikale Strömung im Islam, von der eine Minderheit gewaltbereit ist. Nach Informationen von Verfassungsschutzbehörden halten sich derzeit etwa 1700 von bundesweit 5500 extremistischen Salafisten in NRW auf.
Doch wir fragen uns, was deutsche Jugendliche dazu bewegt, sich lange Bärte wachsen zu lassen, sich mittelalterlichen Geboten zu unterwerfen und in ein fremdes Land in den Krieg zu ziehen? Die meisten von ihnen sind sehr jung, männlich, schlecht ausgebildet und in einem schwierigen familiären Umfeld aufgewachsen.
Vermutlich müsste aber eine ganze Reihe negativer Faktoren zusammentreffen, um Jugendliche so zu radikalisieren. „Und wenn junge Menschen in einer schwierigen Entwicklungssituation dann auf andere treffen, die ihnen Anerkennung geben, Kameradschaft vermitteln, die ihnen sagen, was sie zu tun haben – dann kann dieses Leben auf einmal eine ganz dramatische Richtung nehmen,“ so Kiefer im Hessischen Rundfunk. „Da wird ein ganz klares Feindbild geliefert: Auf der einen Seite stehen die Guten, und auf der anderen Seite die Bösen.“ Von dort aus sei es dann nicht mehr weit in den bewaffneten Kampf: „Es ist natürlich die Pflicht jedes anständigen Muslims, auf der Seite der Guten zu kämpfen. Das heißt, es gibt eigentlich gar keine Wahl, zu entscheiden: Will ich das oder nicht?“
Experten gehen davon aus, dass die Zahl der radikalen Islamisten in NRW weiter steigen wird. Mit einem neuen Projekt will die Landesregierung verhindern, dass sich junge Menschen der Szene zuwenden.
Nach neuesten Erkenntnissen des nordrhein-westfälischen Verfassungsschutzes gibt es allein in NRW 1700 extremistische Salafisten. Etwa 10% davon sind gewaltbereit und die Szene wachse dynamisch, sagte Innenminister Jäger bei der Vorstellung des „Wegweiser“-Projekts in Düsseldorf. Bei 15 bis 20 Prozent der extremistischen Salafisten handele es sich um Konvertiten. Etwa 120 dschihadistische Salafisten aus Nordrhein-Westfalen befänden sich derzeit in Syrien, um dort im Bürgerkrieg zu kämpfen.
Ziel des Projekts „Wegweiser“ ist es, den Einstieg junger Menschen in die gewaltbereite salafistische Szene zu verhindern. Das vom NRW-Innenministerium initiierte Präventionsnetzwerk wird in mehreren Städten umgesetzt. In den ersten Anlaufstellen des Wegweiser e.V. in der Düsseldorfer Innenstadt, Bochum und Bonn wird unmittelbare Hilfe und Beratung angeboten. Persönliche Betreuer vor Ort „weisen den Weg“. Sie setzen sich mit den individuellen Situationen Betroffener auseinander und entwickeln eine Hilfeplan. Dabei arbeiten sie vertraulich. Wegweiser wird es zukünftig auch in weiteren Städten geben.
Wegweiser wird im Gegensatz zu Selbsthilfegruppen vorbeugend aktiv und nicht erst in Form eines „Aussteigerprogramms“. Wegweiser untersucht die Ursachen und entwickelt Maßnahmen junge Menschen davor zu bewahren, in die Radikalisierungsfalle zu laufen.
Gerade in der Phase der Identitätssuche oder bei Diskriminierungserfahrungen von Jugendlichen, die sich perspektivlos und von der Gesellschaft ausgegrenzt fühlen, scheinen die einfache Erklärungen und Lösungen extremistischer Salafisten zu fruchten.
Dabei ist auch der religiöse Dialog mit den Moscheegemeinden wichtig. „Es geht auch um junge Menschen, die religiöse Antworten auf ihre Fragen suchen. Wegweiser akzeptiert religiöse Überzeugungen, aber keine Gewalt zur Durchsetzung extremistischer Ziele“, betonte Innenminister Jäger bei der Vorstellung des Projekts im März in Düsseldorf. Gleichzeitig stellte er klar: „Die große Mehrheit der hier lebenden muslimischen Mitbürgerinnen und Mitbürger verurteilt den gewaltbereiten Salafismus.“
Wegweiser richtet sich auch an das Umfeld der betroffenen Jugendlichen. „Eltern, Geschwister, Freunde und Lehrer erkennen meist zuerst, wenn sich jemand verändert. Ihnen bietet der Betreuer von Wegweiser schnelle und umfassende Beratung“, erläuterte der Minister.
Für den NRW-Innenminister steht fest: „Der Kampf gegen extremistischen Salafismus wird die Sicherheitsbehörden über Deutschland hinaus weiterhin vor große Herausforderungen stellen. Die Zahl extremistischer Salafisten steigt an. Wir müssen die jungen Menschen erreichen, bevor extremistische Salafisten sie mit scheinbar einfachen Antworten in die Radikalisierungsfalle locken“.