Die Humboldt Journey ist eine Forschungsreise von sieben Studierenden der Zeppelin Universität und einem ungewöhnlichen Begleiter: ein blauer Industriecontainer. Im Frühling 2014 sind sie nach Südafrika geflogen, um dort für vier Monate in Kapstadt gemeinsam zu forschen, zu arbeiten und zu leben. Niklas Egberts fasst ihr Projekt, ihre Erfahrungen und Herausforderungen in einem Rückblick zusammen.
„Die gefährlichste aller Weltanschauungen ist die derjenigen Leute, welche sich die Welt nie angeschaut haben.“ Alexander von Humboldt
Unser Container kam auf dem Schiff nach und wurde dann im Stadtzentrum Kapstadts installiert. Für drei Monate stand er zwischen dem College of Cape Town und der Stadtbibliothek und war dort Labor, Bühne, Werkstatt und Wohnzimmer. Der Container ist der interne Knotenpunkt zwischen unseren Forschungsprojekten und die externe Schnittstelle zur Zivilgesellschaft.
Die Kapstädter werden jedoch nicht nur angesprochen sondern auch mit einbezogen. Der Container schafft Möglichkeiten zur Partizipation und fragt nach alternativen Strategien zur Gestaltung von öffentlichem Raum.
Unser Team besteht aus Kultur-, Kommunikations- und Wirtschaftswissenschaftlern. Dementsprechend vielfältig sind auch die von uns in den Forschungsprojekten bearbeiteten Fragen. Die Themen reichen von ‚Volunteer-Tourism‘ bis zum Investitionsverhalten in Sozial- Unternehmen, von Gangs in den Townships Kapstadts bis zum Lernverhalten in Organisationen. Diese Projekte sind einerseits angebunden an Lehrstühle in Friedrichshafen und andererseits an verschiedene Unternehmen und NGO’s in Kapstadt.
Die Entstehung des Gedankens hinter der Humboldt Reise lässt sich bis in unsere Einführungswoche zurück verfolgen. In einem Vortrag warf der damalige Universitätspräsident Stephan A. Jansen die Frage auf, wie man Krisen angemessen erforschen könne. Eher beiläufig wurde die Idee einer mobilen Universität erwähnt, die aus dezentralen und mobilen Laboren besteht. Diese Labore könnten dann, zum Beispiel in Form von Containern, um die Welt reisen und eine Krise noch während ihres Ausbruchs vor Ort erforschen.
Wir waren von dieser Vorstellung fasziniert und haben bald angefangen, eigene Pläne zu schmieden und uns über mögliche Ziele auszutauschen.
Mit der Einführung des 4-jährigen Bachelors an der ZU wurde das sogenannte Humboldt-Jahr ins Curriculum eingeführt. In diesem Zeitraum haben Studierende die Möglichkeit, sich fachlich zu vertiefen oder eigene Forschungsprojekte umzusetzen. Für uns war von Anfang an klar, dass wir diese Gelegenheit für unsere Container-Reise nutzen wollten. Allerdings sind wir Teil der ersten Kohorte des neuen verlängerten Bachelors, und so hat vor uns noch nie jemand das Humboldt Jahr studiert.
Das Fehlen jeglicher Erfahrungswerte war Herausforderung und Chance zugleich.
Einerseits hatten wir einen großen Freiraum bei der Entwicklung des Formats, andererseits mussten wir oft mit Unklarheiten kämpfen. Am Ende konnten wir unser Vorhaben jedoch tatsächlich in die Tat umsetzen. Dafür danken wir dem Vertrauen und der Unterstützung durch unsere Universität und unseren weiteren Förderern.
Der Abschied von Deutschland im Februar fiel uns aufgrund der Kälte und des für den Bodensee typischen Nebels nicht schwer. Da in Südafrika und Deutschland die Jahreszeiten verkehrt herum sind, erwartete uns in Kapstadt das angenehme Ende des heißen Sommers. Auch wenn es sich hier oft wie im Paradies anfühlt, war das schöne Wetter keinesfalls der Grund, warum wir uns für Südafrika entschieden haben. Es sind die komplizierte Vergangenheit und Gegenwart des Landes, die Südafrika und insbesondere Kapstadt attraktiv für eine Forschungsreise machen. Auch wenn das Ende der Apartheid dieses Jahr sein fünfzehnjähriges Jubiläum feiert, ist Segregation nach wie vor im Alltag präsent. Zwischen Arm und Reich gibt es eine riesige Kluft, die sich in Hautfarbe und räumlicher Trennung wieder spiegelt.
Wer von den noblen Stränden der Westküste in die Townships der Cape Flats fährt, kann kaum glauben, dass er sich in der gleichen Stadt befindet.
Kapstadt erhielt für das Jahr 2014 den Titel World Design Capital. Dieser Titel wird alle zwei Jahre von der International Association of Industrial Design vergeben. Im Rahmen dieses Jahres finden in Kapstadt viele verschiedene kleinere und größere Design Projekte statt und es wird ein internationales Publikum angezogen. Für unser Projekt hat das einen guten Nährboden geschaffen, denn wir konnten viele Kontakte knüpfen und mit anderen Projekte- Machern zusammenarbeiten. Wir haben uns mit dem College of Cape Town zusammen geschlossen und gemeinsam an der Aktivierung des ‚Corridors‘, der Fläche zwischen College und Bibliothek, gearbeitet.
Nach unserer Ankunft begannen wir sofort damit, uns mit den Lokalitäten vertraut zu machen, die Studenten und Dozenten des Colleges kennen zu lernen und ins kreative Milieu Kapstadts einzutauchen. In Kapstadt gibt es eine Vielzahl an offenen Veranstaltungen und Diskussionsrunden. Dort konnten wir viele Kontakte zu den offenen und zugänglichen Kapstädtern knüpfen. Allerdings hatten wir auch mit ihrer Unverbindlichkeit zu kämpfen, denn mit Verabredungen, insbesondere was das Einhalten von Uhrzeiten angeht, wird hier nicht so umgegangen, wie wir es aus Deutschland gewohnt waren.
Es ist keine große Sache, wenn jemand mal eine Stunde zu spät oder garnicht kommt. Spricht man mit den Kapstädtern darüber, hört man bloß den Spruch „T.I.A. – this is Africa“. Mit der Zeit haben wir gelernt, darüber zu lachen und vorsichtiger mit Verbindlichkeit umzugehen.
In der ersten Woche haben wir einen Rundgang durch sämtliche Klassen gemacht und unser Projekt vorgestellt. Während den Pausen standen wir mit unseren Infosäulen draußen. Die Reaktion der Studenten war anfangs sehr gemischt. Viele konnten überhaupt nicht glauben, dass wirklich ein Container vor dem College aufgestellt wird. Andere sprudelten sofort von eigenen Ideen für Nutzungsmöglichkeiten.
Die Ideen der Studenten haben wir in unserer ‚Containter-Your- Idea‘ Box gesammelt und gemeinsam mit ihnen Pläne entwickelt, wie diese später im Container umgesetzt werden können.
Dabei herausgekommen sind zum Beispiel eine Sitzecke mit Kissen und Sofa, ein urbaner Garten und eine offene Bühne mit Mikrofon für Gesang, Rap und Tanz.
Trotz der Unterstützung durch das College gestaltete sich die Ankunft des Containers schwieriger als gedacht. Kunst im öffentlichen Raum hat es in Kapstadt nicht einfach, denn es müssen eine Vielzahl an Erlaubnissen durch die Stadt eingeholt werden. Die verschiedenen Abteilungen des bürokratischen Apparats müssen Installation, Bemalung und Veranstaltungen am Container separat absegnen. Die Zuständigkeiten sind oft unklar und der ganze Vorgang braucht eine lange Bearbeitungszeit. Und so kam wie es kommen musste: Der Container erreicht den Hafen Kapstadts und darf nicht aufgestellt werden. Mehrere Wochen haben wir mit Telefonaten, Emails, Besuchen und dem Sammeln von Unterschriften verbracht – und wurden hingehalten, abgewimmelt und ignoriert.
Als der Termin unser ersten großen Veranstaltung immer näher rückte, und wir uns immer noch nicht sicher waren, ob wir den Container überhaupt irgendwo aufstellen konnten, wurde uns klar, dass wir mehr Druck machen und die regulären Kanäle überspringen mussten. Wir besuchten die Stadtverwaltung ein weiteres mal und warteten so lange, bis wir den Zuständigen gefunden und ihn überzeugt haben, unseren Antrag abzusegnen. Wir haben daraus gelernt, dass solche Entscheidungen in Kapstadt informell viel schneller getroffen werden können und ein Gesicht viel mehr bewirkt als ein Formular.
Als der Container schließlich landete, konnten wir es alle kaum glauben. Doch es ging sofort an die Arbeit, denn am nächsten Tag fand unser erster Workshop statt, und dafür musste noch einiges gemalt, geschliffen und gebastelt werden.
Am Container haben wir insgesamt drei Workshops veranstaltet. Der erste Workshop widmete sich dem Thema ‚Transport‘, im zweiten wurde ‚Home‘ behandelt und der letzte Workshop drehte sich um ‚Language‘. Die Workshops haben wichtige Abschnitte im Projektablauf verdeutlicht, schließlich bilden sie den thematischen Fokus.
Jene Themen wurden auf unterschiedlichen Ebenen bearbeitet. So haben wir einerseits Künstler eingeladen, die Außenflächen des Containers zu bemalen und zu besprühen. Andererseits gab Impulsvorträge von Unternehmern und Experten, welche eine Diskussion mit dem Publikum anregten. Der Container selbst hat seine Türen geöffnet und bot Zugang zu weiteren, kleinen interaktiven Elementen. So wurde zum Beispiel gemeinsam mit dem Urban-Gardening Start-Up Foodpods unser urbaner Garten bepflanzt. Am ersten Workshop malte ein Gruppe lokaler Künstler, das CORE-Collective, eine Infografik an den Container, welche unterschiedliche Transportmöglichkeiten illustrierte. In dieser Infografik wurden Freiräume gelassen, in welchen das Publikum mit Marken und Sprühdosen Inhalte ergänzen und kritisieren konnte.
Am letzten Workshop zum Thema Sprache gab es ein German – Xhosa Speed Dating, in denen die Teilnehmer sich gegenseitig Zungenbrecher, Tips zum Flirten und Schimpfwörter beigebracht haben. Xhosa ist eine der indigenen afrikanischen Sprachen, welche Klick-laute und Schnalzen beinhaltet.
Nah am College verbringt eine Gruppe von Obdachlosen regelmäßig ihre Zeit. Sie haben das Container-Projekt von Anfang an mitbekommen und uns des öfteren beim Auf- und Abbauen geholfen. Einige waren freundlich und zugänglich, andere aggressiv und feindselig. Die Annäherungsversuche wurden von den Mitarbeitern des Colleges misstrauisch beäugt und wir wurden gewarnt: „Don’t get too familiar with them.“ Das Zusammenleben mit den Obdachlosen war nicht immer einfach, aber es ging die meiste Zeit gut. Mit der Wahl des Themas ‚Home‘ für den zweiten Workshop haben wir diese Gruppe bewusst angesprochen. In der offenen Diskussionsrunde ging es ziemlich laut und emotional zu. Das gegenseitige sich zu Wort kommen lassen hat nicht funktioniert, stattdessen wurde geschrien und geweint. Wir waren alle ziemlich angespannt, insbesondere weil einige der Teilnehmer stark berauscht waren. Der Konflikt hat sich zum Glück mit ein wenig Hilfe von außen wieder entschärft und am Ende lagen sich zwei der streitenden Männer in den Armen und haben lallend ein Lied gesungen. Uns wurde klar, wie viel es diesen Menschen bedeutet, ein bisschen Aufmerksamkeit und Gehör zu bekommen.
Neben den Workshops haben wir den Container unter der Woche so gut wie jeden Tag geöffnet. Es wurde gearbeitet, gelesen, geschrieben und mit den Passanten und Studenten gewerkelt. Im Innenraum gibt es eine große Tafelwand, auf der Ideen gesammelt und Skizzen gemacht werden können. Die Stadtbibliothek hat uns dabei geholfen, eine selbstverantwortliche Leihbibliothek einuzurichten, unseren ‚book-swap‘. Die Regeln sind einfach: Jeder kann sich ein neues Buch mitnehmen, solange es gegen ein altes getauscht wird. Leider war das Interesse an den Büchern jedoch nicht allzu groß und so stehen die meisten Bücher immernoch dort. Eine Gruppe von ehemaligen Studenten des Colleges hat mit einer NGO zusammen ihr Projekt durchgeführt, in dem Profilbilder geschossen wurden, um einem wohltätigen Zweck Gesicht zu verleihen.
Im Mai wird der Container nach Deutschland zurück verschifft und dort zunächst einmal auf dem Campus der Zeppelin Universität in Friedrichshafen zu sehen sein. Im Oktober stellen wir unsere Reise im Rahmen des Seekult Festivals vor. Wer digital mehr über die Humbodlt Reise erfahren will, kann unseren Blog auf www.humboldtjourney.com besuchen oder uns auf facebook, twitter, und instagram unter dem Namen Humboldt Journey verfolgen.
Im nächsten Jahr wird sich der Container wieder auf Humboldt Reise begeben, allerdings mit einem neuen Team und einem neuen Ziel.
Wir sind jetzt schon gespannt und wünschen viel Glück!