Auf Insta und TikTok feiern gerade viele junge Frauen ein Rollenbild, das eigentlich schon fast aus der Zeit gefallen wirkt. Unter dem Hashtag „Tradwife“ – kurz für „traditional wife“, also traditionelle Ehefrau – zeigen sie sich beim Kochen, Schminken, Putzen oder liebevollen Gesten für den Ehemann. Oft erinnern die Videos an Retro-Werbespots aus den 50ern, nur eben im neuen Look mit Ringlicht, Pastellfiltern und perfekter Ästhetik. Die Botschaft klingt simpel: Ein Leben zu Hause, ganz für Mann und Familie da sein, sei nicht nur völlig okay, sondern die eigentliche Erfüllung.
Für viele wirkt das erstmal harmlos, vielleicht sogar charmant. Schließlich geht es ja darum, dass jede Frau selbst entscheidet, wie sie leben möchte. Doch so einfach ist es nicht. Forschende weisen darauf hin, dass dieser Trend eng mit gesellschaftlichen Unsicherheiten verknüpft ist. Wenn Zukunftsaussichten unsicher, Arbeitsmärkte stressig und Leistungsdruck hoch sind, wirkt ein vermeintlich klares, überschaubares Lebensmodell wie eine Art Flucht aus der Komplexität. Die Soziologin Sarah Bracke beschreibt diese Rückkehr zu alten Rollenbildern als „Nostalgie-Effekt“: Die Vergangenheit wird verklärt, weil die Gegenwart zu anstrengend erscheint (Bracke, Gender & Society, 2022).
Doch die vermeintliche Idylle blendet wichtige Realitäten aus. Frauen, die lange Zeit nicht erwerbstätig sind, haben später deutlich höhere Risiken, in Armut zu leben. Das zeigt nicht nur eine aktuelle Untersuchung des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW, 2021), sondern auch der Alterssicherungsbericht der Bundesregierung. Frauen verdienen im Schnitt weniger, unterbrechen ihre Erwerbstätigkeit häufiger wegen Familie – und das spiegelt sich in niedrigeren Rentenansprüchen wider. Hinter den liebevoll inszenierten Clips vom Kuchenbacken steckt also ein Risiko, das in Pastelltönen unsichtbar bleibt.
Hinzu kommt, dass die Szene in den sozialen Medien nicht nur aus hübschen Retro-Clips besteht. Der Tradwife-Trend ist eng verknüpft mit Strömungen, die aus US-amerikanischen Online-Foren stammen. Dort wurden nicht nur Rezepte und Hausfrauen-Tipps geteilt, sondern auch klare Botschaften: Frauen gehören ins Haus, Männer haben das Sagen. Forschende wie Rebecca Lewis zeigen, dass diese Online-Communities mitunter als Einfallstor für rechte und religiös-fundamentalistische Ideologien dienen (Lewis, Journal of Digital Culture & Society, 2021). Die romantische Ästhetik kaschiert also manchmal eine harte Agenda: eine Rückkehr zu einer „natürlichen Ordnung“, die Frauen systematisch benachteiligt.

Auch in Europa warnen Politikwissenschaftlerinnen davor, dass die Rückbesinnung auf traditionelle Rollenbilder in Krisenzeiten gezielt genutzt wird, um Gleichstellung zurückzudrehen. Andrea Pető beschreibt in einer Studie (European Journal of Women’s Studies, 2020), wie solche Ideale nicht zufällig gerade dann auftauchen, wenn gesellschaftliche Unsicherheiten groß sind. Frauen werden in diesem Narrativ nicht als selbstbestimmte Individuen gesehen, sondern vor allem als Mütter und Ehefrauen, die Stabilität garantieren sollen.
Das heißt nicht, dass jede Frau, die auf Social Media vom Hausfrauenleben schwärmt, automatisch Teil einer politischen Bewegung ist. Viele fühlen sich einfach von Karriereansprüchen, Stress und Selbstoptimierungsdruck überfordert – und sehnen sich nach einer Rolle, die klarer definiert ist. Manche entdecken darin auch echte Freude an Fürsorge, Kochen oder kreativem Gestalten. Aber gerade für junge Frauen besteht die Gefahr, dass durch die perfekte Inszenierung ein Bild entsteht, das weit mehr ist als nur eine persönliche Wahl. Wenn das Tradwife-Leben als Ideal dargestellt wird, wächst subtil der Druck, sich daran zu orientieren – auch wenn das Modell für die meisten ökonomisch gar nicht machbar ist. Denn ein Einkommen reicht in den wenigsten Familien, um Hausfrauendasein überhaupt zu finanzieren.
Und genau hier liegt das Spannungsfeld. Jahrzehntelang haben Frauenbewegungen für Bildungschancen, berufliche Teilhabe und Selbstbestimmung gekämpft. Rechte, die heute selbstverständlich scheinen – wie das eigene Bankkonto, Zugang zu Universitäten oder das Recht auf gleiche Bezahlung – mussten hart erstritten werden. Wenn nun ausgerechnet die Generation, die von diesen Freiheiten profitiert, ein Rollenmodell romantisiert, das genau diese Fortschritte negiert, wirkt das wie ein Rückschritt in Blumenkleidern.
Natürlich darf jede Frau selbst entscheiden, wie sie leben möchte – das ist der Kern von echter Gleichberechtigung. Doch Wahlfreiheit bedeutet auch, über die Konsequenzen informiert zu sein und nicht durch Social Media in eine Richtung gedrängt zu werden, die „natürlich“ oder „romantisch“ wirkt, in Wahrheit aber Abhängigkeit und Risiken verstärkt. Der Tradwife-Trend zeigt, wie attraktiv einfache Antworten in unsicheren Zeiten sein können. Aber genau deshalb ist es wichtig, kritisch hinzuschauen und die glänzende Oberfläche von Instagram und TikTok nicht mit der Realität zu verwechseln.
Am Ende geht es nicht darum, Hausfrauenleben zu verbieten oder zu verurteilen. Es geht darum, dass junge Frauen heute die Möglichkeit haben sollen, ihr Leben selbst zu gestalten – ob in der Familie, im Job oder in einer Mischung aus beidem. Diese Freiheit ist ein historischer Fortschritt. Ihn leichtfertig gegen ein idealisiertes Retro-Bild einzutauschen, wäre ein gefährlicher Preis.
Quellen: Bracke, S. (2022). Nostalgia and Gendered Futures / Gender & Society. Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung (DIW). (2021). Gender Gaps in Pensions. /Bundesregierung (2020). Alterssicherungsbericht 2020. / Lewis, R. (2021). Digital Extremism and Gender Roles. Journal of Digital Culture & Society. / Pető, A. (2020). Gender and Illiberalism. European Journal of Women’s Studies.
