Charlotte Schmitz aus der Standpunkt-Redaktion hat im letzten Jahr die EF an der Gesamtschule Hardt für ein Austauschjahr in Frankreich genutzt und räumt jetzt mit den Klischees über unseren europäischen Nachbarn auf. In ihrem Bericht blickt sie auf ein spannendes Jahr mit vielen Erkenntnissen und neuen FreundInnen zurück.
Wenn man an Frankreich denkt, dann gibt es ein paar Dinge, die jedem sofort in den Kopf kommen: Paris – der Eiffelturm, Croissant, Baguette und vielleicht noch der typische Franzose mit dem gestreiften Oberteil. Wenn ich an Frankreich denke, würde ich da an ein Land denken, das von Region zu Region unterschiedlicher nicht sein könnte? An ein Land voller Überraschungen, das sich auf den ersten Blick vielleicht gar nicht so sehr von Deutschland unterscheidet? Oder etwa doch?
Von August 2022 bis Juli 2023 war ich in Frankreich, genauer gesagt in Le Mans. Eine Stadt mit ungefähr 145.000 Einwohnern und ziemlich in der Mitte zwischen dem atlantischen Ozean in der Höhe von Nantes und Paris. Während des Aufenthaltes habe ich nicht nur in drei verschiedenen Gastfamilien gelebt und die französische Sprache gelernt, mir ist auch aufgefallen, dass es vielleicht doch mehr Unterschiede zwischen Deutschland und Frankreich gibt, als man eigentlich vermutet.
Der erste Unterschied ist mir gleich bei meiner Ankunft aufgefallen. Viele Franzosen begrüßen sich mit einem Küsschen rechts und links auf die Wange, die Anzahl sowie die Seite wo man beginnt, variiert je nach Region. Als eher zurückhaltende Deutsche war dies am Anfang ziemlich komisch für mich. Trotzdem habe ich mich schnell daran gewöhnt.
Nach der ersten Woche in Le Mans, in der ich die Umgebung kennengelernt habe, ging dann auch schon die Schule los. Ich besuchte die erste von drei Stufen eines öffentlichen ‚Lycée‘ (französische Oberstufe), das adäquat zur EF in Deutschland.
Als man mir an meinem ersten Schultag meinen Stundenplan überreichte, war ich etwas geschockt: zweimal in der Woche Schule bis 18 Uhr – ansonsten bis 16 Uhr, außer Mittwochs nachmittags, da hatte ich wie die meisten frei. Für viele Franzosen wäre das noch ein Traumstudenplan, denn ich als Austauschschülerin hatte wirklich nur die minimale Anzahl an Stunden, während viele meiner KlassenkameradInnen noch eine 3. Fremdsprache oder/und andere Fächer optional belegten.
Des Weiteren waren die langen Mittagspausen ungewohnt. Während wir in Deutschland unsere Brotdose mitbringen, gehen hier fast alle in der Mensa essen und zwar nicht einfach nur ein Gericht und vielleicht einen Joghurt oder Obst zum Nachtisch. Nein, hier gibt es das volle Programm: Vorspeise, Hauptspeise und Nachtisch. Das meiste davon wird sogar noch vor Ort in der Schule gekocht – und wie in Frankreich üblich, dürfen Käse und Baguette nicht fehlen.
Man könnte denken, praktisch – dann muss man abends zuhause nicht mehr so viel essen. Aber falsch gedacht, denn so wie ich es erlebt habe, essen die meisten Franzosen zwei warme Mahlzeiten am Tag.
Zu Beginn fühlte sich die Schulzeit ziemlich kompliziert an, denn obwohl ich in den Kursen anfangs wenig verstand, musste ich alle Tests und Arbeiten mitschreiben. In Frankreich gibt es im Gegensatz zur deutschen Schulordnung keinerlei Vorschriften dafür, wie viele Test bzw. Klausuren geschrieben werden müssen oder dürfen. Daher kann es auch Schultage geben, an denen zwei oder mehr Klausuren geschrieben werden. Dies dann auch noch in einer Fremdsprache umzusetzen, war eine Herausforderung. Aber es gab aber auch Fächer, die mir von Anfang an leicht fielen wie zum Beispiel Englisch und Deutsch. Im Fremdsprachenunterricht sind mir persönlich sehr viele Unterschiede aufgefallen. Während in meinem Fremdsprachenunterricht in Deutschland immer sehr viel Wert auf die Kommunikation in der jeweiligen Sprache gelegt wird, liegt hier der Fokus mehr auf das Erlernen von Grammatik und Strukturen. Die Konsequenzen konnte man darin erkennen, das die französischen SchülerInnen in der Theorie große Kompetenzen hatten, dies aber in einfachen Konversationen kaum oder nur mit sehr viel Mühe anwenden konnten. Für mich war es deutlich einfacher, sich mit Franzosen auf Französisch zu unterhalten, als auf Englisch oder Deutsch, zumal der teilweise sehr ausgeprägte Akzent das Verstehen noch erschwerte. Im Laufe des Schuljahrs konnte ich dem gesamten Unterricht immer besser folgen und mich bei allen Themen beteiligen. Der Besuch der französischen Schule füllte den größten Teil meines Auslandsjahres. Unter der Woche blieb oft neben den langen Schultagen, Hausaufgaben und Lernen kaum noch Zeit Neues zu entdecken. Dafür habe ich an den Wochenenden und in den Ferien umso intensiver gelebt und Tolles erleben und entdecken können.
Während des Austauschjahres konnte ich mehrere Wochenenden gemeinsam mit den vielen anderen Austauschschülern der Region verbringen, die aus allen Teilen der Welt kamen. Über die Zeit hinweg haben sich viele Freundschaften entwickelt durch die wir nicht nur die französische, sondern auch andere Kulturen kennengelernt haben. Zusammen mit 49 weiteren AustauschschülerInnen habe ich an einer neuntägigen Busreise durch Frankreich teilnehmen dürfen, bei der wir viele Regionen und Städte in Frankreich entdecken konnten. Angefangen mit den beeindruckenden Bergen im Osten Frankreichs, Lyon und Nîmes mit ihrer römischen Baugeschichte oder Bordeaux mit seinen typischen Häusern und weißen Fassaden.
An mehreren Wochenenden konnte ich auch Paris, die Bretagne und den Südwesten Frankreichs, das Baskenland entdecken. Beeindruckt haben mich die Unterschiede und die Vielfalt der Regionen Frankreichs, von den Landschaften über die Architektur bis zur Esskultur. Da sind sich selbst Franzosen oft nicht einig ob beurre doux oder beurre demil-sel (natürlich gesalzene Butter) jetzt besser ist oder ob es Pain au chocolat (der einzig richtige Name) oder Chocolatine heißt.
Das Diskutieren gehört auch zur französischen Kultur. Ganz ehrlich, auf mich hat dies oft den Eindruck gemacht, als ob Franzosen niemals zufrieden wären. Vielleicht spiegelt dies auch die Streik- und Protestmentalität der Franzosen wider, wenn sie mit einer politischen Entscheidung nicht zufrieden sind. Da ich mich natürlich hundertprozentig integrieren wollte, habe ich selbst einige Male an Demonstrationen teilgenommen. Es hatte mich irgendwie in der Umsetzung ein bisschen an einen Karnevalsumzug erinnert: Mit Menschen in Gruppen, die das gleiche anziehen und gemeinsam Lieder singen oder tanzen. Fürs leibliche Wohl gibt’s die obligatorischen Grillwürstchen und Getränke. Diese Beobachtungen konnte ich jedenfalls auf den Demos machen, an denen ich teilgenommen habe. Mir fiel es jedenfalls schwer, die ‚Unzufriedenheit‘ der Franzosen nachzuvollziehen, fühlte ich mich persönlich doch gerade glücklich in einem wunderschönen Land mit aufregender Kultur, unbeschreiblich gutem Essen, einer melodischen Sprache und nicht zuletzt umgeben von tollen Menschen. Ich hatte drei wunderbare Gastfamilien, die nicht unterschiedlicher sein könnten und trotzdem alle auf ihre Art und Weise einen besonderen Platz in meinem Herz erobert haben. Nicht nur meine drei Gastfamilien, sondern auch meine FreundInnen, LehrerInnen und alle anderen Menschen, die ich kennenlernen durfte, haben dieses Jahr zu dem gemacht, was es war: Die besondere Erfahrung, das man auch innerhalb Europas viel entdecken kann!
Anders als im Urlaub konnte Charlotte in ihrem Austauschjahr in den Alltag eintauchen und mit der Zeit die kulturellen Eigenheiten, Traditionen und Werte des Gastlandes besser verstehen. Dies half ihr, Klischees und Vorurteile abzubauen. Sie lernte Dinge aus verschiedenen Blickwinkeln zu betrachten und die Vielfalt von Lebensweisen schätzen.