Unser Gastbeitrag kommt diesen Monat aus dem neuen Heft vom fluter zum Thema Schönheit: Die Psychotherapeutin Julia Tanck weiß, wie soziale Medien unser Körperbild verschieben

Interview: Rabea Weihser
Frau Dr. Tanck, Sie beschäftigen sich als Psychotherapeutin und Buchautorin mit dem Zusammenhang von Körperbildstörungen und Social Media. Was ist so giftig in den sozialen Medien?
Dr. Julia Tanck: Wir wissen aus diversen Studien, dass idealisierte Körpertypen auf Social Media überrepräsentiert sind. So entsteht ein verzerrtes Bild davon, wie Körper auszusehen haben. Das erzeugt einen extremen Druck, vor allem bei Jugendlichen.
Warum sind sie besonders gefährdet?
Jugendliche sind die Hochrisikogruppe für Essstörungen, vor allem Mädchen zwischen 14 und 19. Diese Lebensphase ist geprägt von Unsicherheiten in Bezug auf die eigene Person, die Identität, das Aussehen. Man will dazugehören, beliebt sein. Attraktivität scheint dafür wichtig.
Was passiert im Kopf, wenn wir uns diese realitätsfernen Idealtypen zu lange anschauen?
Da kann ein extrem negatives Bild vom eigenen Körper entstehen. Es gibt zwei Triebkräfte. Zuerst die Internalisierung: Je häufiger wir ein bestimmtes Ideal sehen, desto attraktiver und normaler finden wir es. Weicht unsere Selbstwahrnehmung stark von diesem Ideal ab, macht uns das unzufrieden. Die zweite Triebkraft sind Vergleiche. Wie sehr jemand sein Aussehen mit dem anderer vergleicht, ist sehr unterschiedlich ausgeprägt. Je stärker die Tendenz zu Aussehensvergleichen und zur Internalisierung, desto wahrscheinlicher wird eine Körperunzufriedenheit.

Ist die nicht normal? Jeder kennt so eine Unzufriedenheit.
Genau. Das ist erst mal nur ein Gefühl. Wenn ich diese negative Emotion aber nicht regulieren kann, sie nicht aushalte, wenn ich deshalb kaum noch esse oder exzessiv Sport mache, können sich daraus Krankheiten entwickeln. Menschen mit Körperbildstörungen zum Beispiel nehmen Mängel an sich wahr, die anderen gar nicht auffallen. Manche halten ihr Spiegelbild nicht mehr aus und schämen sich so sehr für sich, dass sie nicht mehr am sozialen Leben teilnehmen.
„Ich habe Patientinnen, die nach objektiven Kriterien als sehr attraktiv gelten würden. Aber sie fühlen sich absolut hässlich und unwohl mit ihrem Körper“
Leiden besonders hübsche Menschen auch?
Ich habe Patientinnen, die nach objektiven Kriterien als sehr attraktiv gelten würden. Aber sie fühlen sich absolut hässlich und unwohl mit ihrem Körper. Hübsch gleich glücklich, diese Gleichung geht so nicht auf. Es gibt kein objektives Maß dafür, wie sich jemand in seinem Körper fühlt. Deswegen finde ich es sehr wichtig, dass auch Personen, die Schönheitsidealen entsprechen, öffentlich über ihre Probleme mit der Selbstakzeptanz sprechen.
Welche Verantwortung tragen die Plattformen und die Creator?
Wir wissen aus Übersichtsstudien, dass die sozialen Medien das Körperbild signifikant negativ beeinflussen. Wir haben so viele psychisch erkrankte Jugendliche wie noch nie. Weil wir wissen, wie stark der Einfluss von Social Media ist, sollten bearbeitete Bilder gekennzeichnet werden müssen und von den Algorithmen nicht länger bevorzugt werden. Es braucht ein Bewusstsein dafür, dass solche Bilder nicht die Realität abbilden.
Kann uns auch das private Umfeld Komplexe einreden?
Auf jeden Fall. Ein Freund, der Leistungssportler ist, kann beeinflussen, wie ich meinen Körper wahrnehme. Oder eine Mutter, die sich häufig vergleicht, das Aussehen anderer Menschen kommentiert oder schlecht über ihren eigenen Körper spricht. Sprüche wie „Darin sehe ich dick aus“ oder „Das kann ich nicht tragen“ bleiben hängen. Das passiert sogar nonverbal, allein durch den Aufmerksamkeitsfokus. Wie die Mutter Bereiche ihres Körpers anschaut, die ihr missfallen, kann zu einer defizitorientierten Selbstbetrachtung der Kinder führen. Viele solcher unbewussten Mechanismen sorgen dafür, dass sich ein negatives Körperbild auf die nächste Generation überträgt.
Wie kommt man da raus?
Untersuchungen zeigen, dass sich Menschen wohler fühlen und aktiver sind, wenn sie ihre Social-Media-Nutzung reduzieren. Es ist sinnvoll, sich zu fragen: Welche Inhalte führen dazu, dass ich mich besser fühle? Was inspiriert mich auf eine gesunde Weise? Und was setzt mich eher unter Druck? Und ganz wichtig: sich mit Menschen zu verbinden, die einen wertschätzen, denen es nicht nur ums Aussehen geht.
Warum fällt es uns so schwer, mit unserem Aussehen zufrieden zu sein?
Wir müssen erkennen, dass sich mit unserer Unzufriedenheit viel Geld verdienen lässt. Wenn es eine Tablette gäbe, mit der wir ab morgen zufrieden wären mit unserem Aussehen, würde eine Milliardenindustrie zusammenbrechen. Uns wird ständig eingeredet, dass wir nicht gut, schön und erfolgreich genug sind und uns nur genug bemühen müssten. Aber der Fehler liegt nicht bei uns als Individuen, das Problem lässt sich nur auf struktureller Ebene lösen.
Dieser Artikel ist aus dem fluter „Schönheit“.Hier geht’s zum ganzen Heft.
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