Auf der Suche nach dem Stil oder Sinn des Lebens.

Auf der Suche nach Utopien, die in unkonventionellen Lebensprojekten entwickelt werden, versuchen immer mehr junge Menschen der Frage nach einer möglichen zukünftigen Gesellschaft, jenseits des Konsums und ewigen Wachstums nachzugehen. Möglichkeiten, wie eine demokratischere, sozialere und ökologischere Wirtschaft aussehen könnte, werden dabei ausprobiert.
Wie beeinflusst ein Wirtschaftswandel den Zusammenhalt der Gesellschaft und die Bedeutung von Demokratie? Welche Rolle spielen dabei Kommunikation und Medien?

Für Prozesse des Umdenkens und nachhaltigen Handelns ist Bildung wichtig. Die Gesellschaft ist zum blinden Konsumieren erzogen, um Wachstum und Absatzmärkte anzukurbeln. Heute sind Statussymbole, Geld und Macht für die meisten erstrebenswerter als soziale Gerechtigkeit und das Wohlbefinden der Gemeinschaft. Um diesen Trend aufzuhalten, braucht es Reflexion und damit Bildung und Aufklärung, nur so kann ein Bewusstsein entstehen, das eine Notwendigkeit der Veränderung für eine gesellschaftliche Zukunft erkennen lässt.
Der Wandel kann nicht von Politik einfach ‚beschlossen‘ werden, sondern er muss von allen Menschen ausgehen und auch alle miteinschließen. Dafür sind auch gemeinsame Erfahrungen im Ausprobieren von unkonventionellen Lebensstilen wichtig, denn nur so können Menschen für ein nachhaltigeres Leben und eine sozialere Gesellschaft ‚angesteckt‘ und überzeugt werden.

Klimaland


Einen „selbstorganisierten, basisdemokratischen und hierarchiearmen Ort zuführen“, darum geht es im Klimacamp am Tagebau Garzweiler. Jeder darf dort hinkommen und Teil der Gemeinschaft werden. Es geht dort laut den Camp-Mitgliedern um eine bessere Welt. Nicht um den Akt einer Rebellion oder darum Widerstand zu leisten, sondern etwas Neues auszuprobieren, sich auf dieses Projekt einzulassen.
Ein Klimacamp ist, wie viele Aktivist:innen gerne sagen: „Das Herz einer Klimabewegung.“. Dort geht es um das gemeinsame alternative Zusammenleben, durch beispielsweise die Herstellung einer eigenen Stromversorgung. Es geht darum, sich miteinander zu vernetzten und ins Gespräch zu kommen. Sich zusammen durch Workshops, Kurse und auch Podiumsdiskussionen weiterzubilden. Es geht um die Gestaltung, einer Gemeinschaft und einer Lebensstruktur, fernab von der heutigen Konsumgesellschaft.

Doch wie kommt man dazu, Mitglied einer solchen Gemeinschaft zu werden?

Wie sieht der Alltag und Tagesablauf im Camp wirklich aus?

Was ist die Intuition bei so einem Projekt mitzumachen?

Wir hatten die Möglichkeit einen jungen Mann, der gerade sein Abitur gemacht hat und jetzt Teil des Klimacamps ist, einige Fragen zustellen. Thore aus der Standpunktredaktion interviewt einen jungen Mann, der Teil einer Aktivistengruppe am Tagebau Garzweiler ist, da er anonym bleiben möchte hat er von uns den Namen Tim bekommen.

standpunkt: Seit wann bist Du schon Teil dieser Gemeinschaft?
Tim: Es ist mein erstes Mal bei so einem Projekt mitzumachen. Ich bin seit letztem Sonntag hier,
also genau eine Woche.

standpunkt: Wie bist Du Teil dieser Gemeinschaft geworden?
Tim: Ich habe von Freunden von diesem Ort hier gehört und konnte mir selber gar nicht vorstellen. Ich war schon im Vorfeld politisch engagiert in meiner Heimatstadt und in meinem Ort. Ich habe meine Sachen gepackt und bin dann einfach hierhergekommen, ohne große Ahnung zu haben. Ich kannte hier auch niemanden, doch wurde direkt gut aufgenommen. Irgendeine fremde Person kam auf mich zu und mir den Ort gezeigt, wo es etwas zu essen gibt, wo die Toiletten sind, wo ich schlafen kann, wie das System hier funktioniert und wo ich mich für Aufgaben einschreiben kann. Das war jetzt vor einer Woche und ich finde, dass ich mich gut eingelebt habe.


standpunkt: Wie läuft hier so ein Alltag ab?
Tim: Es liegt ganz an einem persönlich, wie dein Alltag hier aussieht. Wir sind eine autonome, sehr, sehr selbstständige und eigenwillige Gemeinschaft sind, das heißt wir zwingen hier niemanden zu irgendwas. Das heißt, wenn du die ganze Zeit nur chillen möchtest, dein Käffchen trinken willst und in den Himmel gucken möchtest, dann machst du das. Wir bekommen drei Mahlzeiten am Tag und alle sind umsonst, dass bedeutet um etwa 9 Uhr gibt es Frühstück, zwischen 12 und 14:30 Uhr gibt es Mittagessen und zwischen 19 und 20 Uhr gibt es Abendessen. Das sind Termine an die sich die Leute hier halten, wo die Leute sich dann treffen und der Rest des Tages liegt auch an dir. Das bedeutet, dass wenn du dich engagieren möchtest bei irgendeinem Projekt, dann suchst du dir ein Projekt wo du dich engagieren kannst und das ist unabhängig von der Uhrzeit. Du kannst zum Beispiel eine Nachtsicht übernehmen und hier auf den Ort aufpassen und abends herumlaufen. Gerade wenn du so einen Schlafrhythmus hast, so wie meiner. Aber wenn du voll Bock hast etwas zu pflanzen, dann haben wir da vorne eine kollektive Landwirtschaft. Das heißt, wenn du Lust hast, dich in den frühen Morgenstunden da hinzusetzten und ein bisschen das Feld hüten magst. Du kannst auch ein Baumhaus bauen, du kannst ein bisschen den Ort verschönern, etwas malen. Vor einer Woche haben ein paar Leute hier einen Skaterpark gebaut, also es gibt hier keinen typischen Tag, du machst dir den Tag so wie du ihn möchtest. Wenn du heute Bock auf nichts hast, dann machst du nichts, aber wenn du Bock auf Arbeit hast, dann arbeitest du halt.


standpunkt: Wie viele seid ihr ungefähr in eurer Gemeinschaft?
Tim: Gerade sind wir gar nicht mal so viele und ich bin sehr schlecht im schätzen, dass kann ich dir leider nicht sagen, irgendwas um die 50-100 Leute, vielleicht weniger, aber vielleicht auch mehr. Doch ich habe von einigen gehört, dass es gerade sehr leer ist, wir hatten gerade eine kritische Phase hinter uns, mit der Rodungssaison, dort hätte RWE zum Beispiel diese Bäume hier roden dürfen. Deswegen waren viele Menschen sehr lange hier, die Saison ist aber jetzt offiziell vorbei und jetzt ist es gar nicht mehr so einfach die Bäume hier zu fällen und dementsprechend sind hier gerade gar nicht so viele Leute.

standpunkt: Welche Art von Leuten hast du hier so: Menschen die sich hier politisch engagieren oder andere die hier nur gewohnt haben?
Tim: Eine komplett bunte Mischung. Du hast viele politische Leute hier, Leute, die aus dem linksorientierten Spektrum kommen, du hast hier Klimaschützer, du hast Leute von NGOs und du hast teilweise Parteileute hier, also eine ganz bunte Mischung. Manchmal gibt es hier auch einfach Reisende, die hier vorbeigekommen sind und hier hängen geblieben sind. Du hast hier auch jede Altersgruppe, jede Schicht hier vertreten und du wirst hier auch Kinder auf dem Gelände herumlaufen sehen, genauso wie etwas ältere Menschen. Dann hast du noch viele von unserem Schlag hier, die zwischen 19 und 20 Jahre alt sind. Ich glaube viele Student:innen und viele Schüler:innen, weil die auch einfach mehr Zeit haben als Arbeitstätige. Doch wirklich eine bunte Mischung an Leuten, die hier sind.
Ich glaube, was wir alle gemeinsam haben ist, dass wir an eine bessere Welt glauben und das möchte ich echt betonen: Das hier ist nicht nur ein Akt der Rebellion oder ein Akt des Widerstandes und ein Akt von wegen wir sind gegen was, sondern es ist ein Projekt. Es ist ein für etwas sein und nicht nur ein sagen von wir sind dagegen, wir möchten sagen: Das Leben könnte auch so sein und es könnte vor allem für alle so sein und jeder könnte dann einfach arbeiten, wann er möchte, dann arbeiten, wann er nicht möchte und das würde halt trotzdem klappen. Klar, wir würden nicht mehr Wolkenkratzer innerhalb von 24 Stunden in den Himmel reißen, aber das will ich auch gar nicht. Mir reicht eine schöne Hängematte in einem Baumhaus. Dieser Gegenvorschlag, diese Antithese zu einer anderen Gesellschaft, ich glaube, das verbindet uns hier, weil wir alle nicht so glücklich waren, an dem Ort wo wir mit unserer Gesellschaft bis jetzt waren. Wir haben jetzt einen Ort gefunden, wo wir es besser machen können und den Leuten auch beweisen und zeigen können, hey es geht so besser, wir sind glücklicher und kommt doch mal vorbei und dann wirst du es auch vielleicht auch so sehen, als da wo du gerade bist.


standpunkt: Was hast du vorher gemacht? Hast du bevor du hier hingekommen bist auch studiert?
Tim: Ich möchte dazu nicht so viel sagen, deswegen bleibe ich wage. Ich habe gerade mein Abitur beendet, über ein paar Umwege und jetzt bin ich ziemlich offen. Ein Studium wird vielleicht irgendwann kommen, aber ich habe mich jetzt erstmal entschieden, dass ich mein Leben auf Reisen verbringen möchte. Ich möchte keinen festen Wohnsitz mehr haben und einfach ein bisschen die Welt kennenlernen. Ich finde es Besitz und wohnen allerdings auch stressig und ich bin jemand, der nicht gerne in den Trott kommt. Aber ja, ich war vorher einfach ein Schüler, der alleine gewohnt hat, zwei Nebenjobs hatte und sich mit Miete, genug Geld für Essen und Blabla- Blub über Wasser gehalten hat.


standpunkt: Ich habe zu danken! Danke für das Interview.
Tim: Ich hab zu danken, ich hoffe das wird ein cooler Artikel in eurer Schülerzeitung und ich hoffe
ich war ein guter Interviewpartner.
standpunkt: Das warst du auf jeden Fall! Tim: Sehr cool, sehr cool.

Die Fotografien sind Teil des Abschlussprojekts „ZU NAH. Drei Ausflüge ins Rheinische Braunkohlerevier“ und entstand im Schuljahr 2018-2019 während des Fotografieprojekts „Ein Foto ist selten allein – Vom Sammeln, Ordnen, Collagieren und Dokumentieren“ an der Gesamtschule Hardt, Mönchengladbach-Hardt, im Rahmen des Landesprogramms NRW Kultur und Schule. Projektleitung: Frank Breuer, Köln.Gefördert durch das Ministerium für Kultur und Wissenschaft des Landes Nordrhein-Westfalen sowie durch die Stadt Mönchengladbach.Gesamtschule HardtVossenbäumchen 50D–41169 MönchengladbachTel. 02161-901070post@gesamtschule-hardt.dewww.gesamtschule-hardt.de
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