Gar nicht so leicht. Ein paar Tipps, wie ihr euren Dopamin-Hunger ein wenig einschränken könnt.
Ein Beitrag von Paul Hofmann auf fluter.de
Vor 15 Minuten habe ich die Instagram-App gelöscht. Innerhalb von Sekunden wurde ich ein erfüllterer Mensch, weniger reizbar, nachdenklicher. Ich bin freundlicher zu Nachbarn und Haustieren, lese Bücher (auch die dicken), höre die Vögel zwitschern und das Blut durch meine Adern rauschen. Ich verbringe mehr Zeit mit Aktivitäten, die mir wichtig sind …
So klingt es, wenn wieder mal jemand seinen Alltag ohne Soziale Medien beschreibt. Jede Woche vermelden Geläuterte auf Twitter, dass sie Twitter verlassen haben, um sich dann (auf Twitter) schwärmerisch über die Zen-artigen Zustände zu ergehen, in die diese Social-Media-Diät führt.
Ich halte die Sozialen Medien für eine gute Erfindung, Instagram vermutlich sogar für ein bisschen zu gut. Möglicherweise bin ich gerade erst wieder in meinem Feed versackt, obwohl ich dringend diesen Text schreiben muss. Mag sein, dass mich Instagram vor dem Eingeständnis rettet, dass ich nicht weiß, was ich sonst gerade tun möchte. Nur nicht mehr so oft, „One sec“ sei Dank.
Paradox aber hilfreich: Apps gegen Screentime
Ich habe die App im September installiert. Seitdem springt sie – Sekunde mal! – direkt an, wenn ich Instagram auf meinem Smartphone öffnen will. „One sec“ füllt meinen Screen mit einem Farbverlauf, er läuft voll wie ein kleines Aquarium. Nach zwölf langen Sekunden brummt mein Smartphone zufrieden. Sekunden, die ausreichen, um darüber nachzudenken, ob ich jetzt wirklich Zeit auf Instagram verbringen möchte, Sekunden, in denen sich mein Gehirn wieder etwas beruhigt.
Das halbe Silicon Valley verdankt seinen Reichtum einem Botenstoff: Dopamin. Bei sozialen Stimuli wie Likes, Kommentaren oder neuen Followern aktiviert Dopamin das Belohnungszentrum im Gehirn, das bald mehr davon will. Wer sich Soziale Medien genau ansieht – die Feeds unendlich, die Benachrichtigungen signalrot, die Interaktionen quantifiziert –, kann sich vorstellen, wie innig unser Gehirn diese Umgebung liebt.
„One sec“ einzurichten kostet ein paar Minuten, die Investition lohnt sich. Laut meiner Bildschirmzeit-App habe ich Instagram vor „One sec“ bis zu 40-mal am Tag geöffnet; ausgehend von acht Stunden Schlaf also alle 24 Minuten. Nach drei Tagen mit App war ich runter auf fünf tägliche Dosen Instagram, wieder eine Woche später war das Muskelgedächtnis meines Daumens, der vorher wie ferngesteuert das Instagram-Icon ansteuerte, überschrieben. Ich war genau einmal auf Instagram, um ein Video zu sehen, in dem ein Dackel Reiswaffeln auf seinem Kopf balanciert.
Apps wie Instagram können süchtig machen. Ihre Macher wissen menschliche Bedürfnisse und Schwächen so klug zu nutzen, dass ihre Anwendungen zur Gewohnheit werden. Die Techniken, um neue Gewohnheiten zu etablieren, müssen also mindestens genauso klug sein. Die Gegenkultur aus Hausmittelchen, Tricks und Hacks blüht, einige sind clever, andere verzweifelt, wieder andere Selbstgeißelung. Hier sind ein paar, die euch vielleicht helfen.
Technik gegen Technik
Kurioserweise ist die Auswahl an Apps, die helfen sollen, weniger Apps zu nutzen, riesig. „One sec“ kennt ihr jetzt, „AppDetox“, „SPACE“, „OFFTIME“ oder „Momentum“ funktionieren ähnlich. Andere machen es spielerischer: „Forest“ lässt – solange ihr nicht ans Smartphone geht – ein digitales Bäumchen wachsen (in der Bezahlversion sogar echte: „Forest“ hat zusammen mit der Organisation Trees for the Future nach eigenen Angaben fast 1,3 Millionen Bäume gepflanzt). Und „Flipd“ macht Verzicht zum Wettkampf: Ihr könnt eure Offlinezeiten mit anderen vergleichen.
Übrigens verbauen die Tech-Unternehmen die Behandlung für ihre Suchtmittel inzwischen selbst, siehe Apples „Bildschirmzeit“-App oder Googles „Digital Wellbeing“. Die Tech-Konzerne streiten mittlerweile regelrecht, wer mehr für das Wohlbefinden seiner Nutzer tut. Das ist kein Edelmut, sondern gut fürs Image und soll wohl auch strengeren Regulierungen durch den Gesetzgeber vorbeugen. Und letztlich ist ein weniger aktiver Nutzer besser als kein Nutzer.
Mehr Geräte
Wer weniger Zeit am Smartphone verbringen will, braucht mehr Geräte: Für die Uhrzeit eine Armbanduhr, im Dunkeln eine Taschenlampe, zum Wecken einen Wecker oder – für Fortgeschrittene – gleich ein Zweittelefon, das nur das Nötigste kann. Das Light Phone, Schwarz-Weiß-Display, keine Fotos, keine Social-Media-Apps, ist extra dafür designt, dass man es möglichst wenig benutzt. Es kostet aber ein paar Hundert Euro. Vielleicht also gleich ein Seniorenhandy. Das kostet nur 15 Euro und kann genauso wenig.
Weniger Apps
Praktisch alle Apps schicken Push-Nachrichten, die ständig irgendwo vibrieren, klingeln oder leuchten. Und selbst wenn nicht: Neurobiologen haben festgestellt, dass unsere Konzentration schon gestört wird, wenn sich das ausgeschaltete Smartphone im selben Raum befindet. Also (in aufsteigender Drastik): Smartphone lautlos. Benachrichtigungen abstellen. Oder die Apps deinstallieren und das Netzwerk im Browser nutzen – wo sie oft klobig aussehen und weit weniger Spaß machen.
Hindernisse
Erstaunlich, wie oft wir kurz Instagram checken wollen, um uns 20 Minuten später zu fragen, wo die Zeit geblieben ist. Gegen solche „Zombie-Checks“ können Impulshemmer helfen, kleine Hindernisse, die bewusst machen, dass man gerade zum Smartphone greift. Spannt zum Beispiel ein Gummiband um das Gerät oder stellt auf dem Sperrbildschirm ein Foto ein, das euch stutzen lässt (Foto wechseln, wenn es nicht mehr irritiert).
Smartphonefrei
Für smartphonefreie Zeit können App-Helferlein sorgen, smartphonefreie Zonen kannst du selbst abstecken. Das Schlafzimmer bietet sich an. Oder der Esstisch: Regelt in der WG oder Familie, dass das Telefon während der Mahlzeiten nicht auf dem Tisch liegen darf. In WG-Zimmern können es Teilbereiche sein: Die Couch ist Smartphonezone, das Bett nicht.
Soziale Konventionen
Nicht vergessen: Smartphones und Social Web sind gerade 25 Jahre alt. Die Generation derer, die jetzt damit in Berührung kommt, ist die erste, die aus den Fehlern der vorangegangenen lernen kann. Wenn Menschen durch den Umgang mit dem Smartphone in digitalen Stress rutschen, dann sind meistens soziale Gründe mitentscheidend. Es fehlt uns an sozialen Normen, wir haben das Gefühl, wir müssen sofort auf Nachrichten, Kommentare oder Posts reagieren. Einfach mal probieren, dem Druck zu entfolgen – und erst antworten, wenn du Zeit hast.
Groß denken
Für viele bedeutet weniger Zeit am Handy, sich ein Vergnügen zu versagen – und wer tut das schon gern? Sieh’s mal so: Die Zeit auf Instagram ist Zeit, die du nicht mit anderen angenehmen Dingen verbringst; es ist nicht „weniger Zeit am Smartphone“, sondern „mehr Zeit mit deinem Leben“. Der Schriftsteller Henry David Thoreau hat diese Rechnung schon 1854 in seiner Aussteigerfibel „Walden“ in einem Satz konzentriert: „Der Preis einer Sache ist die Menge dessen, was ich Leben nenne, die ich im Austausch dafür früher oder später hergeben muss.“ Das gilt, so viel Kitsch sei hier erlaubt, genauso für Soziale Medien.
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