Das Interview zum Projekt
Die Schülerzeitungsredaktion Standpunkt im Gespräch mit dem musikalischen Leiter des Sinfonieorchesters OPUS 125.
Herr Alvarez, wie sind Sie zur Musik gekommen?
Eigentlich war es ein Zufall, dass ich Musiker wurde. Wir mussten damals in der Schule die Abend-Workshops wählen (vergleichbar mit den AGs in Deutschland) und ich war dafür schon mit ein paar Kommilitonen verabredet, um so etwas wie eine Rockband zu gründen. An diesem Tag hatte jeder Lehrer seinen Kurs vorgestellt, darunter auch ein neuer junger Lehrer mit dem Kurs für Querflöte. Niemand wollte den Kurs belegen, aber ich war neu-gierig und habe mich Im letzten Moment für den Querflöten-Kurs entschieden. Und jetzt bin ich fast 14 Jahre später hier. Ein Orchester zu dirigieren ist eine große Verantwortung. Musikalisch muss man versuchen die Vorstellungen der einzelnen Musikers zu einer Einheit zusammen zu bringen und gleichzeitig ernsthaft und ehrlich an der Partitur zu bleiben. Menschlich ist man verantwortlich für das Wohl des Orchesters und seine Mitglieder. Auch gesellschaftlich trägt man Verantwortung, denn als musikalischer Leiter eines Orchesters hat man die Chance das kulturelle Leben der Bürger zu ändern.
Würden Sie anders sein, wenn Sie nicht in Chile aufgewachsen wären?
Ich glaube schon. Ich versuche nicht deterministisch zu sein, besonders weil ich mit den Jahren erfahren habe, wie viel sich in meinem Leben verändert hat, insbesondere weil ich bis zu meinem 18. Lebensjahr noch nie im Ausland war. Aber ich bin auch überzeugt, dass wir nicht zufällig in eine Gemeinschaft hineingeboren sind, die eine Beziehung mit einem Land und einer Geografie hat. Wir kommen in diese Welt und wir landen in einer Gruppe mit einer bestimmten Kultur. Man kann vieles später lernen, und sogar merken, dass viele Gegebenheiten gar nicht so anders in einem anderen Land sind, aber die ursprüngliche Beziehung bleibt immer bestehen.
Wann war es für Sie klar, Dirigent zu werden?
Ich glaube die Jahre als Assistent meines Lehrers David del Pino Klinge in Argentinien waren für mich entscheidend. Da habe ich gelernt, was diese Arbeit wirklich ist und was ein Orchester in einer Gemeinschaft schaffen kann.
Wie setzen Sie sich mit der Intension eines Komponisten auseinander?
Für mich ist das Lernen einer Partitur wirklich eine Forschung. Ich versuche Spuren zu finden, die mir helfen, eine Klangvorstellung zu konzipieren. Manchmal ist es sehr selbstverständlich und manchmal braucht man sehr viel Zeit, bis man irgendeine Idee bekommt. Aber ich glaube, dass alles festgehalten und auf dem Papier ist. Und wenn Information fehlt, muss man einfach in die Bibliothek gehen und Quellen lesen. Wenn der Komponist noch am Leben ist und man mit ihm reden kann, ist diese Erfahrung für mich ein bisschen anders. Diese Interaktion bringt immer neue Sachen hervor.
Sie werden als spontan und neugierig beschrieben. In der Programmgestaltung lassen Sie sich gerne auf neue Wege ein. Wie ordnen Sie das Programm Tänze der Welt mit OPUS 125 ein?
Ich glaube, dass dieses Programm und seine Bedeutung die ganze Zeit wachsen. Ich erinnere mich an die ersten Gespräche über das Konzertprogramm und da gab es erst einmal ziemlich praktische Gedanken: „Was passt für ein Frühlingskonzert?“, „Was passt für den Saal, in dem wir spielen werden?“, „Was passt zum Charakter und bisherigen Konzept der Konzerte von OPUS 125?“. Aber mit der Zeit, merkt man, dass dieses Programm eine Möglichkeit bietet, etwas zu lernen. Musikalisch ist es nicht einfach, es gibt kein Stück, das leicht ist, alles ist sehr anspruchsvoll. Dazu kommen die sehr unterschiedlichen Charaktere und Stile der Musik und die sind wirklich eine Herausforderung für das Orchester. Mit diesem Programm hat das Orchester viel Erfahrungen gesammelt und hat sich weiter entwickelt. wenn es nur ein kleiner Ausschnitt für die Musiker, für mich und für das Publikum ist, andere Kulturen durch ihre Musik kennenzulernen. Jetzt während der Vorbereitungsphase kann man schon erkennen, dass dieses Konzert einen Entwicklungsprozess im Orchester vorantreibt. Es geht nicht mehr nur darum, wie wir besser spielen können, sondern auch wie wir von außen wahrgenommen werden, wie wir Brücken zwischen Orchester und Publikum aufbauen und wie wir in die Zukunft mehr Menschen ereichen, die zu uns kommen, als Publikum aber auch als Mitglieder. So betrachtet, zeigt dieses Programm, dass ein Laienorchester sehr interessante und spannende Ideen entwickeln kann.
Es gibt eine Barriere zwischen jungen Leu-ten und klassischer Musik. Können Sie sich vorstellen, woher diese Distanz kommt?
Ich glaube, dass diejenigen, die sich mit der klassischen Musik professionell beschäftigen, eine sehr passive Haltung angenommen haben. Die musikalischen Konzepte, Programmgestaltungen, Musikakademien, Musikkritiken usw. haben sich seit Beginn Beginn des 19. Jahrhunderts, als Musikdarbietungen öffentlich zugänglich und auch vom Bürgertum als Wert an sich geschätzt wurden, kaum weiter entwickelt. Damals bekam das Konzert als Veranstaltung eine neue Bedeutung, genauso wie andere Musikdarbietungen, die diesem „neuen“ Publikum die Musik verständlich machten. Bis heute haben wir alles unverändert beibehalten, aber das Verständnis dahinter ist einfach verloren gegangen. Es ist einfacher ein Konzert farbenfroh und mit „eingängiger“ Musik zu gestalten, als einen Plan zu entwickeln, wie man diese Angebote modernisiert oder sogar erneuert. Fast die ganze Musik, die heute von Orchestern gespielt wird, gehört einfach nicht mehr zu unserer Zeit. Wir sind nicht mehr die Menschen, für die diese Musik komponiert wurde. Auf viele philosophische Fragen haben wir noch keine Antwort: Warum machen wir immer noch diese Musik? Welche Bedeutung hatte sie damals und was bedeutet sie heute für uns? Wir hören und betrachten sie als eine Mischung von Museum und Unterhaltung. Wir verstehen Musik als Kulturerbe und behandeln und konsumieren sie gleichzeitig als emotionales Thema. Dazu gibt es heute kaum Angebote, die in der Lage wären, die Ästhetik der Musik, die heute komponiert wird, den Menschen zu erklären. Sogar innerhalb der Musikhochschulen ist dieses Thema manchmal kompliziert. Vieles verstärkt die Trennung zwischen klassischer Musik und Gesellschaft. Dazu tragen die ungelösten philosophischen Fragestellungen bei und der Mangel an kreativen Angeboten zur Musikvermittlung. Die Menschen müssen auf die komplexen Kompositionen, die wir im Konzertsaal hören können, vorbereitet werden. Diese Musik ist nicht so direkt und alltäglich wie andere Musik. „3. Stock“ von Annen-May Kanterei ist zum Beispiel wirklich näher an der Realität vieler Menschen. Sie hören das nicht nur, weil es ihnen Spaß macht oder wegen der Qualität der Musik, sie hören sie, weil sie sich mit diesem Text identifizieren. Das wäre meine Meinung dazu.
Haben Sie schon mal Angst verspürt zu klassischer oder auch anderer Musik?
Nein. Aber ich hatte das Glück spät mit der Musik anzufangen. Und ich habe diese Welt von beiden Seiten erfahren. Als ich noch keine Kenntnisse hatte, fand ich das langweilig. Die ganze Situation des Konzerts war für mich distanziert. Aber als ich mich mit der Musik beschäftigt habe, konnte ich verstehen, worum es geht und wieso es so ist. Ich bin sehr neugierig, und deswegen höre ich vieles an, egal ob ich es danach nicht mehr höre.
Die Gema hat Genregruppen in der Musik aufgemacht, in der sie die Wertigkeit von Musik staffelt. Wie stehen Sie dazu?
Wussten Mozart oder Haydn, dass sie Teil des Klassizismus in der Musik waren? Wusste Beethoven, dass er die ersten Schritte in der Romantik geführt hat? Ich glaube nicht. Diese Menschen haben einfach Musik gemacht. Sie haben von der Vergangenheit gelernt und haben versucht etwas Neues, etwas Authentisches zu machen. Als Menschen brauchen wir Definitionen und Klassifikationen, um die Welt überhaupt zu verstehen. Aber sie sind nur ein Hilfsmittel und keine Bewertungsskala.
Wie gut geht Folkloremusik oder Weltmusik mit klassischer Musik zusammen?
Der Begriff „Klassische Musik“ ist problematisch. Ich mag lieber „Akademische Musik“, weil er die Musik beschreibt, die in der Akademie gelehrt wird. Folkloremusik ist volkstümlich. Sie ist im Volk entstanden. Sie spiegelt die Stimmung und die Realität der Menschen wider. „Akademische Musik“ kann durchaus von der „Folkloremusik“ inspiriert sein. Daraus können auch „manchmal“ großartige musikalische Werke entstehen. Aber sie werden nicht mehr folkloristisch sein, es bleibt nur der Hauch davon.
Das würde uns noch ganz privat interessieren….
Sie fahren alleine auf eine einsame Insel. Welche drei Musikstücke nehmen Sie mit? Die Bach Kantate Nr. 140, Lohengrin Vorspiel und das Lied „A mi Ciudad“ von der Band „Santiago del Nuevo Extremo“.
Wo hören Sie Musik? Meistens zuhause.
Wo entdecken Sie für sich neue Musik? Bei Unterhaltungen mit Freunden, Internet, wähend Kursen in der Musikhochschule, fast immer spontan.
Wo würden Sie gerne mal Musik hören? Während ich Musik höre, kann nicht etwas anderes machen, daher höre ich sie am liebsten Zuhause. Ich genieße es aber auch sehr, wenn ich auf dem Weg Straßenmusikanten höre.
Vielen Dank für das Interview!