30 Jahre Srebrenica – was wir nie vergessen dürfen!

Von Elif Can Koca

Das Massaker von Srebrenica im Juli 1995 stellt eines der schwersten Verbrechen gegen die Menschlichkeit in Europa seit dem Zweiten Weltkrieg dar. Es geschah während des Bosnienkriegs (1992–1995), der infolge des Zerfalls der Sozialistischen Föderativen Republik Jugoslawien ausbrach. In diesem Krieg standen sich insbesondere bosnisch-muslimische Bosniaken, katholische Kroaten und orthodoxe Serben gegenüber. Nach der Unabhängigkeitserklärung Bosnien-Herzegowinas im Jahr 1992 begann eine bewaffnete Auseinandersetzung, in der serbische Kräfte unter der Führung von Radovan Karadžić und General Ratko Mladić gezielt gegen die muslimische Bevölkerung vorgingen – mit dem Ziel, ein „ethnisch reines“ serbisches Territorium zu schaffen.

Im April 1993 erklärte der UN-Sicherheitsrat die ostbosnische Stadt Srebrenica zur „UN-Schutzzone“. Diese Maßnahme sollte die mehrheitlich bosniakische Zivilbevölkerung vor weiteren Angriffen schützen. Die niederländische UN-Einheit „Dutchbat“ war mit der Sicherung der Stadt beauftragt. Doch trotz dieser internationalen Schutzverpflichtung wurde Srebrenica im Juli 1995 von der Armee der bosnischen Serben unter Mladić eingenommen. Die UN-Soldaten waren zahlenmäßig unterlegen, schlecht ausgerüstet und konnten keinen ernsthaften Widerstand leisten. Im UN-Bericht zu den Ereignissen in Srebrenica wird festgehalten, dass sämtliche Beobachtungsposten und Sperren von Dutchbat widerstandslos an die Armee der Serben übergeben wurden.

Begräbnis von 465 identifizierten Massakeropfern (2007) (Wikimedia)

In den Tagen nach der Einnahme der Stadt begingen die serbischen Truppen systematisch Morde an über 8.000 muslimischen Jungen und Männern im Alter von etwa 13 bis über 70 Jahren. Die Männer wurden von Frauen und Kindern getrennt, unter dem Vorwand von „Registrierung“ oder „Befragung“. Die Art, wie die Selektionen durchgeführt wurden, war für die Familien traumatisch, wie Zeugen später in Den Haag im Krstić-Prozess berichteten. Anschließend erfolgten Hinrichtungen an verschiedenen Orten in der Umgebung. Die meisten Opfer waren Männer und Jungen zwischen 13 und 78 Jahren, wobei das jüngste Opfer ein Mädchen im Säuglingsalter war. Die Leichen wurden zunächst in Massengräbern verscharrt; viele wurden später exhumiert und an anderen Stellen wiedervergraben, um die Spuren zu verwischen. Die forensischen Untersuchungen ziehen sich wegen der Vielzahl der Ermordeten, der Tatorte und der Massengräber bis heute hin.
Frauen und Kinder wurden in „überfüllten und überhitzten“ Bussen in bosniakisch-kontrolliertes Gebiet deportiert – viele Frauen berichteten später von sexualisierter Gewalt und Misshandlungen.

Karte der militärischen Aktivitäten während des Massakers von Srebrenica (Wikimedia)

Die internationale Gemeinschaft reagierte zu spät. Der UN-Sicherheitsrat wurde erst nach der Tragödie aktiv. Das Internationale Strafgericht für das ehemalige Jugoslawien (ICTY) in Den Haag stufte das Massaker in mehreren Urteilen eindeutig als Völkermord ein. Sowohl Radovan Karadžić als auch Ratko Mladić wurden in separaten Verfahren zu lebenslanger Haft verurteilt. Slobodan Milošević, der ehemalige Präsident von Serbien und Jugoslawien starb am 11. März 2006 in seiner Zelle in Den Haag. Zu diesem Zeitpunkt befand er sich in Untersuchungshaft und wartete auf sein Prozess. Der Internationale Gerichtshof (IGH) bestätigte 2007 ebenfalls die Einordnung des Massakers als Völkermord. Die Verantwortung der internationalen Gemeinschaft, insbesondere der Vereinten Nationen und der niederländischen Regierung, wurde vielfach kritisiert. 2022 entschuldigte sich die niederländische Regierung offiziell für das Versagen ihrer Truppen in Srebrenica.

Gedenkstelen der Völkermord-Gedenkstätte Potočari nahe Srebrenica (Wikimedia)

Der Gedenkort in Potočari, unweit von Srebrenica, wurde 2003 eröffnet. Er umfasst ein Denkmal und ein großes Gräberfeld, auf dem bisher mehr als 6.500 identifizierte Opfer beigesetzt wurden. Noch heute werden sterbliche Überreste aus Massengräbern geborgen und anhand von DNA-Analysen identifiziert. Jedes Jahr am 11. Juli – dem Tag, an dem die Stadt fiel – finden internationale Gedenkveranstaltungen statt. Besonders bekannt ist der sogenannte „Friedensmarsch“, bei dem tausende Teilnehmer die Fluchtroute vieler Überlebender von damals symbolisch nachgehen.

UN-Sicherheitsrat (Wikimedia)

Im Jahr 2025 verabschiedete die UN-Generalversammlung eine Resolution zur Einführung eines weltweiten Gedenktags. Seitdem gilt der 11. Juli als offizieller „Internationaler Tag zur Erinnerung an den Völkermord von Srebrenica“. Dieser Tag soll der Opfer gedenken und zugleich die Leugnung des Genozids verurteilen, die in Teilen des Westbalkans weiterhin verbreitet ist. Die Resolution wurde von 84 Staaten unterstützt, darunter Deutschland, Frankreich und die USA. Serbien, Russland, China und 16 weitere Staaten stimmten dagegen.

Auch 30 Jahre nach dem Verbrechen sind die Wunden nicht verheilt. Die politische und gesellschaftliche Lage in Bosnien-Herzegowina ist angespannt. Vertreter der serbischen Entität, der Republika Srpska, leugnen teils bis heute den Genozid. Gleichzeitig kämpfen Überlebende und Angehörige mit psychischen und sozialen Folgen: dem Verlust von Angehörigen, fehlender Gerechtigkeit und gesellschaftlicher Ausgrenzung. Viele fordern stärkere Bildungsinitiativen und mehr internationale Aufmerksamkeit, um das Erinnern wachzuhalten und neue Gewalttaten zu verhindern.

Exhumierungen in Srebrenica (1996) (Wikimedia)

Das Massaker von Srebrenica steht heute nicht nur für eine grausame Episode in der jüngeren europäischen Geschichte, sondern auch als Mahnung, wie gefährlich Nationalismus, Hasspropaganda und politische Gleichgültigkeit sein können. Das Gedenken daran ist ein Appell an die Menschheit, gegen Völkermord, Diskriminierung und das Schweigen zu kämpfen – damals wie heute.

Zur Autorin: Elif Can Koca besucht die Stufe 11 des Nelly-Sachs-Gymnasium in Neuss.

Quellen:
• ICTY & IGH-Urteile (www.icty.org)
• Bundeszentrale für politische Bildung (www.bpb.de)
• Tagesschau.de: „UN-Gedenktag zu Srebrenica“ (Mai 2024)
• ZDFheute.de: „30 Jahre nach dem Völkermord“
• Wikipedia: „Massaker von Srebrenica“, „Srebrenica Genocide Memorial“
• Internationales Komitee vom Roten Kreuz (www.icrc.org)