„Lieber nichts sagen“ – Wenn Meinungsfreiheit sich nicht mehr sicher anfühlt
Hasskommentare, digitale Hetze, Drohungen – für viele junge Menschen ist freie Meinungsäußerung längst nicht mehr selbstverständlich. Zwar garantiert das Grundgesetz sie als zentrales Freiheitsrecht, doch in sozialen Netzwerken und digitalen Räumen dominiert oft die Angst: vor Reaktionen, vor sozialem Ausschluss, vor öffentlicher Verurteilung. Viele berichten von Selbstzensur, weil die Konsequenzen eines offen formulierten politischen Standpunkts unkalkulierbar erscheinen. Besonders betroffen sind junge Frauen, queere Menschen und Personen mit sichtbarem Migrationshintergrund. Bitkom-Studien und Projekte wie HateAid bestätigen: Die Zahl der digitalen Angriffe wächst, während die Gegenmaßnahmen oft zu spät kommen oder gar nicht greifen.
Gleichzeitig erleben wir einen gesellschaftlichen Rechtsruck in vielen Teilen Europas – und zunehmend auch in Deutschland. Parteien, die früher als extrem galten, sind heute wählbar geworden. In manchen ostdeutschen Regionen ist die AfD stärkste Kraft bei jungen Wählerinnen und Wählern. Doch der Drang nach Extremen ist nicht nur rechts spürbar. Auch linke Parteien wie Die Linke oder neue Bewegungen profitieren von einer zunehmenden Frustration mit der sogenannten politischen Mitte. Viele junge Menschen wollen Haltung, Klarheit und Veränderung – nicht parteipolitisch, sondern thematisch. Der klassische Links-Rechts-Kompass sagt ihnen kaum noch etwas. Stattdessen zählt die Frage: Wer vertritt wirklich unsere Interessen?

Demokratie? Ja – aber anders!
Klimaschutz, soziale Gerechtigkeit, Bildung, psychische Gesundheit, Wohnraum – die Themen, die jungen Menschen wichtig sind, sind konkret und lebensnah. Doch das Vertrauen in die Politik, das all das regeln soll, bröckelt. Studien wie die Shell-Jugendstudie oder Umfragen der Friedrich-Ebert-Stiftung zeigen: Nur eine Minderheit der jungen Menschen fühlt sich politisch gehört. Die meisten erleben Demokratie nicht als etwas, das ihren Alltag prägt – sondern als System, das irgendwo im Bundestag oder Brüsseler Verwaltungsfluren passiert. Viele wünschen sich eine andere Form der Beteiligung: direkt und auf Augenhöhe. Aber oft bleibt es bei Lippenbekenntnissen und Alibi-Projekten.
Und trotzdem – der Wunsch nach einer besseren, faireren Demokratie ist spürbar. Junge Leute sind nicht politikfern. Sie sind bereit, sich einzubringen. Aber sie wollen nicht in verstaubten Parteistrukturen untergehen. Sie wollen echte Beteiligung, nicht nur alle paar Jahre ein Kreuz auf dem Wahlzettel. Wenn es politische Räume gäbe, die nicht nur theoretisch offen sind, sondern auch praktisch zugänglich – dann würden sich viel mehr einbringen. Doch solange Macht und Entscheidung nur in den Händen weniger bleiben, bleibt Demokratie ein elitäres Projekt.
Wenn Demokratie ausgehöhlt wird – und was wir dagegen tun können
Was passiert, wenn man der Demokratie ihre Regeln nimmt, sehen wir international immer öfter. Der Fall Trump in den USA hat gezeigt, wie schnell eine Demokratie erodieren kann, wenn sie nicht gegen Machtmissbrauch geschützt ist. Auch in Ländern wie Ungarn, Polen oder Italien erleben wir, wie gewählte Politiker systematisch Justiz, Medien und Parlamente schwächen. Die Grenze zwischen Demokratie und Autokratie ist dünn – besonders, wenn eine Gesellschaft müde, polarisiert oder gleichgültig wird. Damit das nicht passiert, braucht es stabile Institutionen – aber vor allem eine wache, laute und engagierte Zivilgesellschaft. Junge Menschen spielen dabei eine Schlüsselrolle.
Was viele vergessen: Demokratie ist keine fertige Sache, sondern eine Praxis, die täglich neu erarbeitet werden muss. Es geht nicht darum, alles richtig zu machen, sondern offen, transparent und fair zu bleiben. Das funktioniert nur, wenn alle mitreden dürfen – und wenn die Strukturen auch wirklich zuhören. Die junge Generation ist bereit dazu. Sie ist nicht auf der Suche nach Perfektion, sondern nach Verlässlichkeit, Sicherheit und Gerechtigkeit. Und sie will ernst genommen werden. Wenn das gelingt, kann Demokratie nicht nur überleben – sie kann wieder begeistern.
Dieser Beitrag stützt sich auf:
- Shell-Jugendstudie 2024 und Umfragen der Friedrich-Ebert-Stiftung zur politischen Haltung junger Menschen
- Bitkom-Daten zu Hass im Netz (2023)
- Recherchen und Analysen aus Medien wie ZDF, Deutschlandfunk, taz, FES, Spektrum, Welt und Merkur
Und natürlich auf Stimmen junger Menschen selbst – aus Jugendbeiräten, Netzdebatten, Fridays-for-Future-Reden.
