Eine Betrachtung aus Moskau
Sergey Markedonov, 13.2.2015, Bundeszentrale für politische Bildung
Die politische Krise in der Ukraine, die durch den veränderten Status der Krim und den bewaffneten Konflikt im Donbas verschärft wird, ist zu einer äußerst ernsten und gefährlichen Herausforderung für die europäische Sicherheit geworden. Differenzen zwischen Moskau einerseits und Washington und Brüssel andererseits hatte es schon früher gegeben.
Die Sanktionspolitik der USA und der Europäischen Union hat zu einer weiteren negativen Lageentwicklung beigetragen, auch wenn sie nicht der einzige Grund für das negative Wirtschaftswachstum und die Finanzkrise in der Russischen Föderation ist.
Konfrontation ohne Kalten Krieg
Politologen, Politiker und Journalisten verwenden zur Beschreibung der Beziehungen zwischen Russland und dem Westen immer häufiger die Worte „Kalter Krieg“. Können wir von einer Rückkehr in die Zeiten der globalen Konfrontation sprechen oder wäre es voreilig, die Krim und den Donbas als Wendepunkt in der Geschichte der internationalen Beziehungen zu bezeichnen? Und wenn dem so wäre, wo liegt der Kern der derzeitigen Differenzen, die sich leider mit jedem Tag verschärfen?
Man kann heute nicht von einer Wiederholung des „Kalten Krieges“ sprechen, weil einige grundsätzlich Merkmale nicht mit den damaligen Voraussetzungen übereinstimmen. So gibt es keine zweite Supermacht oder ein militärisches Bündnis, das sich von den Haltungen und Werten der westlichen Welt unterscheidet.
Gleichzeitig sind die geopolitischen Interessen Moskaus im Vergleich zur Sowjetzeit räumlich sehr viel enger begrenzt.
Selbst dort, wo Russland in die Lösung von Problemen involviert ist, die über die Grenzen der ehemaligen UdSSR hinausreichen (Naher Osten), versucht Moskau vielfach Sicherheitsfragen des postsowjetischen Raumes zu lösen, etwa in Bezug auf die Bedrohungen, die von radikalen Islamisten für den Nordkaukasus und das Wolgagebiet in Russland sowie für die Nachbarländer Georgien und Aserbaidschan ausgehen. Diese Wechselwirkungen werden bestehen bleiben, ganz gleich, wer den Posten des Präsidenten Russlands innehaben wird.
Unterschiedliche Wahrnehmungen
Der Grund für das derzeitige Aufflammen der Konfrontation zwischen Moskau einerseits und Washington und Brüssel andererseits sind weniger ideologische Differenzen wie in Zeiten des kalten Krieges, sondern liegen in einer unterschiedlichen Wahrnehmung der nationalen Prioritäten begründet.
Russland und der Westen haben unterschiedliche Bezugspunkte dafür, wodurch die Weltordnung und das Völkerrechte verletzt werden.
Die Amerikaner und ihre Verbündeten bewerten das Vorgehen der Russischen Föderation als außerordentliche Verletzung der nach dem Zweiten Weltkrieg entstandenen europäischen Grenzen. Für Moskau aber hat die Verletzung des Völkerrechts viel früher eingesetzt; die Ukraine-/Krimkrise wäre somit nur Teil eines weiter gefächerten Prozesses, der mit dem Zerfall der Organisation des Warschauer Vertrages, der UdSSR und Jugoslawiens sowie der Osterweiterung der NATO eingesetzt hat.
Die Geschichte mit der Ukraine ist nicht ein Streit darum „wer angefangen hat“. Es ist die Geschichte eines fehlenden real funktionierenden Völkerrechts und eines fehlenden effektiven internationalen Schiedsverfahrens bei Streitigkeiten über die Beziehungen zwischen Zentrum und Region unter Krisenbedingungen.