Die erste Party, der erste Kuss, der Auszug aus dem Elternhaus. Für Jugendliche ist das erwachsen werden eine einschneidende und prägende Zeit mit bleibenden Erinnerungen. Was aber, wenn dies alles wegfällt? In der Pandemie fühlen sich junge Heranwachsende so, als wären sie in einer Zeitschleife gefangen. Was macht das mit dieser Generation?
In Belgien gab es den Knuffel-Kontakt. Bürgerinnen und Bürger durften eine Person außerhalb des eigenen Haushaltes treffen und knuddeln, unabhängig vom eigenen Beziehungsstatus. Besondere Zeiten erfordern besondere Maßnahmen, oder? Seit Beginn der Pandemie sind persönliche Kontakte auf ein Minimum beschränkt, digitale Lehrangebote wurden zum Standard. Eltern mussten Homeschooling und Homeoffice in einem schultern. Für jede Gesellschaftsschicht ist diese Zeit auf individuelle Art eine Herausforderung und zuweilen auch Belastung.
Dies trifft auch und besonders auf die jüngere Generation zu. Studien zeigen, dass die Phase zwischen 15 und 30 Jahren eine besonders persönlichkeitsprägende Zeit ist, in der viele erste Male stattfinden und die Weichen für das zukünftige Leben als Erwachsene gelegt werden. Was aber, wenn Jugendlichen und Heranwachsenden wichtige Erfahrungen fehlen oder Zukunftspläne zu scheitern drohen. Die Universitäten Hildesheim und Frankfurt befragten 2020 etwa 7.000 Jugendliche und junge Erwachsene zwischen 15 und 30 Jahren dazu, welche Sorgen und Ängste die junge Generation in der Zeit der Pandemie besonders beschäftigte. Die Ergebnisse zeigten, dass der Verlust sozialer Beziehungen als besonders schmerzhaft empfunden wurde. Über ein Drittel fühlte sich demnach einsam, für knapp 81 Prozent der Befragten hat sich das Freizeitverhalten durch geltende Einschränkungen verändert. Sind Jugendliche dadurch weniger empfänglich für die Notwendigkeit von Schutzmaßnahmen? Das Forschungsprojekt der beiden Universitäten deutet eher darauf hin, dass eine überwiegende Mehrheit der Jugendlichen die Maßnahmen trotzdem für sinnvoll und notwendig hält. Nur etwa 12 Prozent lehnen die Hygiene- und Schutzmaßnahmen ab, etwa 61 Prozent stimmen diesen voll oder teilweise zu.
Dennoch weisen Soziologen auch darauf hin, dass gerade durch den Verlust von wichtigen Erfahrungen die Persönlichkeitsbildung junger Menschen und die Bildungschancen leiden. Besonders die psychosoziale Entwicklung leide unter den Einschränkungen der Pandemie, so die Bildungs- und Sozialforscher Dieter Dohmen und Klaus Hurrelmann. Wichtige Entwicklungsschritte wie die Entwicklung eines stabilen Wertesystems, die Ablösung von den Eltern und der Aufbau eines eigenen Beziehungsnetzwerks seien enorm erschwert. Als Folge dieser Entwicklungsstörungen könnten im Extremfall depressive Verstimmungen oder ausgeprägtes Suchtverhalten entstehen.
Die Politik steht daher in der Verantwortung, auch die sozialen Härten der Pandemie nicht aus dem Blick zu verlieren. Aus dem nordrhein-westfälischen Schulministerium hieß es dazu, dass die Sorgen und Nöte der Schülerinnen und Schüler gesehen werden. Angebote der beruflichen Bildung und Ausbilungsvermittlung sollten hierfür laut einem Beschluss der Landesregierung gestärkt werden. Viele Jugendliche fühlen sich jedoch unverstanden oder allein gelassen von der Politik. Etwa 65 Prozent der befragten Jugendlichen und jungen Erwachsenen gaben an, sich von der Politik nicht ernstgenommen zu fühlen. Probleme und erschwerte Bedingungen ergeben sich dabei nicht nur im Schulalltag und beim Übergang von der Schule in Ausbildung oder Beruf. Auch an den Hochschulen sorgt die aktuelle Situation für Zukunftssorgen. Der Präsident der Hochschulrektorenkonferenz, Prof. Dr. Peter-André Alt, schilderte auf Anfrage der Redaktion, dass gerade Studienanfänger vor teilweise schwierigen Situationen stünden. „Für die Abiturientinnen und Abiturienten ist der Beginn des Studiums ein wichtiger Schritt in ein selbstständiges Leben. Dabei durch den Shutdown ausgebremst zu werden, ist schwierig. In der ersten Phase des Studiums lernt man den Hochschulbetrieb kennen, vernetzt sich mit Kommilitoninnen und Kommilitonen und entwickelt seine Arbeitstechniken.“ Die Hochschulen hätten seitdem aber auch einen enormen Digitalisierungsschub erlebt, von dem junge Studierende auch in Zukunft profitieren können. „Die digitale Lehre hat auch in „Normalzeiten“ als Ergänzung des Präsenzangebots wichtige Vorteile. Durch solche Elemente lässt sich das Studium flexibler gestalten. Man kann die Vorlesung dann hören, wenn man am aufnahmefähigsten ist. Teilzeit- und Weiterbildungsstudierende, deren Zahl immer mehr zunimmt, können das Studium leichter an ihre sonstigen Verpflichtungen anpassen.“
Studien zeigen auch, dass nicht alle jungen Menschen von Einsamkeit und sozialen Problemen gleichermaßen stark betroffen sind. Neben Berichten über Sorgen und Zukunftsängste gibt es auch positive Erfahrungen. Eine zunehmende Entschleunigung und die Möglichkeit zur Selbstreflexion werden ebenso erwähnt. Wenngleich manch prägende Erfahrung für die heutige Generation junger Heranwachsender nicht aufzuholen sein wird, lässt sich erst in einigen Jahren beurteilen, welche sozialen Auswirkungen die Pandemie auf die Zukunftschancen der jetzigen Generation hat.
Wenn ihr mehr erfahren wollt, findet ihr hier ein paar spannende Reportagen und Studien: