GESELLSCHAFT

Die Sehnsucht nach dem Schulalltag.

Letzte Woche waren die ersten Abschlussklassen an die Schule zurückgekehrt. Vorher und auch jetzt wird viel darüber diskutiert unter welchen Bedingungen der Schulbetrieb aufgenommen wird.  Die politischen Entscheidungen waren zwar gefallen aber ein konkretes Konzept, wie genau die Schulen ihre Wiedereröffnung umsetzen können, fehlte. Mit gesetzten Vorgaben und mit nachgereichten Handreichungen als Planungshilfen, mussten sich die Schulen mit dringenden Fragen selber auseinandersetzen. Wie sich die theoretischen Vorgaben mit den praktischen Erfahrungen danach anfühlten, haben wir gegenüber gestellt.

Wie viele Schüler*innen sollen in einen Raum, acht oder zehn, gehen evtl. sogar zwölf oder fünfzehn? 

Alleine ein vierzügiger Abschlussjahrgang einer Stufe 10 musste bei einer Vorgabe in 10 Schüler*Innen pro Lerngruppen mit jeweils einer Lehrkraft in 12 Gruppen aufgeteilt werden. Dazu kommen dann noch die Abiturjahrgänge und die erweiterte Notbetreuung. Da kommen die Schulen bei 20% der Schülerschaft jetzt schon an die räumlichen und personellen Grenzen. 

Wie wird das Abstandsgebot auf den Schulhöfen eingehalten und durchgesetzt? 

Bei gutem Wetter kann die Schule bisher auf den Schulhof als erweiterten Raum zurückgreifen, der die Abstandshaltung und das kontrollierte Betreten der Klassenräume ermöglicht. Aber viele Schulgebäude lassen von der Flurgröße noch  nicht einmal das Warten in einer Schlange mit ausreichend Abstand vor einer Desinfektionsflasche pro Klassenräume zu.

Sollen Pausen versetzt stattfinden? 

Für Aufsichten werden zusätzliche Lehrkräfte gebraucht, die darauf achten, dass in parallel zum Unterricht stattfindenden Pausen sowie vor dem Betreten und beim Verlassen des Schulgebäudes die Abstandsregeln eingehalten werden.

Wie viele Lehrer*innen stehen für Unterricht und Aufsichten überhaupt zur Verfügung, die nicht zur Risikogruppe gehören? 

Bei der Besetzung von Unterricht und Aufsichten muss bedacht werden, dass viele Lehrkräfte aufgrund ihres Alters oder wegen möglicher Vorerkrankungen zur Risikogruppe gehören und nicht eingesetzt werden können. Aber auch der Anteil der Teilzeitkräfte lässt keinen großen Planungsspielraum.

Wie viele Räume können genutzt werden, um die Hygienebedingungen zu erfüllen? 

Fehlender Platz und kleine Räume war schon vor Corona-Zeiten das große Problem vieler Schulen. Selbst wenn man die Klassenstärke auf ca. 15 Personen halbiert, um möglichst wenig Räume zu besetzen, wird die Abstandsregel hier in den meisten Schulen kaum einzuhalten sein. 

Auf welche Vorgaben zur Hygiene kann man zurückgreifen? 

Gerade jetzt hat die sanitäre Ausstattung der Schulen Priorität. In vielen Städten und Gemeinden sind die Anfragen nach Renovierung und Modernisierung der maroden Schultoiletten und Waschbecken noch unbearbeitet oder die Eltern sind selbst aktiv geworden. Da macht eine Händewaschanleitung keinen Sinn, wenn es kein warmes Wasser und zu wenig Waschbecken gibt und diese oft noch funktionsuntüchtig oder in schlechtem Zustand sind.

Ist Desinfektionsmittel überhaupt bei den Städten und Kommunen als Schulträger verfügbar? 

Mit dem Einsatz einer Desinfektionsflasche pro Lerngruppe und Unterrichtsstunde lässt sich ausrechnen, wie oft die Flasche durch wie viele Hände geht und wie viel Zeit es benötigt, bevor der Unterricht beginnen kann. Für die erfolgreiche Umsetzung von Hygienemaßnahmen braucht es erst einmal ausreichend Spender, um sich nicht schon beim Desinfizieren anzustecken. Bisher konnten die Städte und Kommunen diese nicht anbieten. 

Werden die Reinigungsintervalle durch den Schulträger erhöht und werden Oberflächen sorgfältig desinfiziert? 

Mit festen und namentlich zugeordneten Sitzplänen soll im Falle einer Infektion die Infektionskette nach verfolgt werden. Dies setzt voraus, das nach jedem Lerngruppenwechsel der Raum gesäubert werden muss. Um dies zeitlich und mit entsprechendem Reinigungsaufwand und Personal zu realisieren, ist neben der Raumkoordination auch ein großer logistischer Aufwand für die Reinigungsteams notwendig.

Ab dem 4. Mai sollen die Schulen in Deutschland teilweise wieder öffnen. Die genauen Zeitpläne variieren zwischen den Bundesländern. Lehrerverbände und Gewerkschaften begrüßen die Entscheidung zur Lockerung der Corona-Maßnahmen – doch viele der in diesem Beitrag genannten Fragen sind noch offen. Bis Ende April soll es ein Konzept der Kultusminister geben, wie Schulen Hygienestandards einhalten können. Wichtig seien vor allem die Themen Masken und Desinfektion.

Nach den ersten Schultagen mit den Abschlussjahrgangsstufen bekommen Lehrer und Schüler jedoch schon ein Gefühl dafür, wie und ob eine weitere Schulöffnung in dieser Form praktisch überhaupt umsetzbar ist.

Die Organisation der Schulöffnungen sowie die Einhaltung von Hygienemaßnahmen gegen das Coronavirus stellen die Schulen vor großen Herausforderungen. Es gibt aber auch gute Gründe, die für eine Schulöffnung sprechen:

Pro: Bildungsvorteil für den Schüler  

Im analogen Unterricht lernen Schüler besonders neue Lerninhalte besser. Zu Hause kann der Lernstoff mit Üben und Wiederholen trainiert werden. Zudem muss man bedenken, dass in vielen Haushalten Schüler aus sozial schwächeren Familien weniger digitale Möglichkeiten haben und dadurch abgehängt werden.

Contra: Hygienestandards können nicht eingehalten werden 

Es gibt auf die Schülerzahl bezogen zu wenig Toiletten und Waschbecken, die mehrfache Reinigung am Tag kann nicht eingehalten werden, die Abstandsregeln können schon aus baulichen Gründen nicht umgesetzt werden. Es gibt zu wenig Lehrkräfte, die dem erhöhten Unterrichts- und Aufsichtsbedarf nachkommen können.

Pro: Eltern werden entlastet 

Viele Eltern sind durch Homeoffice und Kinderbetreuung belastet. Eine Wiedereröffnung der Schule ist besonders für Eltern mit vielen Kindern und wenig Platz zu Hause wichtig.

Contra: Räumliche Mängel 

Die Schulen haben unterschiedliche räumlichen Voraussetzungen, wie ausreichende Raumanzahl und -größen, Flurwege für Einbahnstrassenregelung und Pausenhöfe, die auch bei schlechtem Wetter zum koordinierten Aufstellen genutzt werden können. Zudem fehlen Waschbecken in Klassenzimmern, Seifen- oder Papierhandtücherspender.

Pro: Soziale Kontakte

Viele Kinder und Jugendliche leiden unter der Isolation und vermissen ihre Freunde und Mitschüler. Außerdem sind Schulen für sie ein Zufluchtsort in angespannten häuslichen Situationen oder während der Pubertät.

Contra: Risikogruppen unter Lehrer und Schülern

Geschätzt gehört ein Viertel der Lehrer zur Risikogruppe und ist gefährdet, wenn sie eingesetzt werden. Aber auch Asthmatiker oder Behinderte unter den Schüler*Innen, die zur Risikogruppe gehören, können nicht vom Unterricht ausgeschlossen werden.  

Fazit: Es fehlen durchdachte und realistische Konzepte 

Nicht die Schulen, sondern die Kultusministerkonferenz ist gefordert, Konzepte für die Öffnung zu entwickeln, die bei allen Maßnahmen den größtmöglichen Infektionsschutz und die bestmögliche Hygiene für alle Beschäftigten und Schüler berücksichtigt.

Schulen können nur weiter geöffnet werden, wenn die Einhaltung gewisser Regeln garantiert werden kann. Und dazu braucht es keine umkonkreten Handlungsanleitungen sondern konkrete Konzepte und realistische Hilfen von den verantwortlichen Entscheidern. Jetzt bleibt zu hoffen, dass Verantwortlichkeiten und Vorwürfe nicht wieder einfach nur weitergereicht werden und am Ende Schülern und Lehrern die Leittragenden sind.