In der Satzung der WHO wird Gesundheit definiert als „ein Zustand vollständigen körperlichen, seelischen und sozialen Wohlbefindens und nicht nur das Freisein von Krankheit oder Gebrechen.“ Doch ist es überhaupt möglich gleichzeitig in allen drei Bereichen, d.h. körperlich, seelisch und sozial, „gesund“ zu sein? Ist man dann rundum gesund? Und umgekehrt: Ist man krank, wenn ein Bereich zu kurz kommt oder zu dominant wird?
SOZIAL
Die vergangenen zwei Jahre haben unsere Weltgesellschaft und uns individuell im Hinblick auf diese dreiteilige Gesundheit stark verändert. Während der diversen Lockdown- bzw. Isolationsphasen konnten wir uns nicht mit unseren vertrauten Sozialkontakten treffen und das hatte Auswirkungen auf das seelische Wohlbefinden jedes Einzelnen. Ein Gefühl des Alleinseins und der Einsamkeit machten sich breit und lösten körperlichen und psychischen Stress und innere Unruhe aus. Wir Menschen brauchen ein soziales Miteinander, denn wir sind soziale Wesen und dementsprechend darauf angewiesen mit allen fünf Sinnen und ohne Barrieren wie Monitore oder Telefone miteinander zu reden, zu interagieren und uns auch körperlich zu begegnen.
Die Frage, die man sich gestellt hat, war häufig diese: „Treffe ich mich jetzt mit meinen Freunden, denn ich brauche den sozialen Kontakt oder bleibe ich zu Hause und minimiere das Ansteckungsrisiko?“.
Mit dieser Frage waren Schülerinnen und Schüler, aber auch Erwachsene, also unsere gesamte Gesellschaft konfrontiert. Alle haben wir den Austausch mit Freunden und den Umgang mit einander vermisst. Wenn man dann als Schüler während des Lockdown zu Hause verzweifelt alleine an den Schulaufgaben saß, dann konnten Nachrichten, Sprachnotizen und nette Worte einen aufheitern. Doch ersetzt eine Sprachnotiz keine Umarmung, die so viel mehr aussagt als nur geschriebene oder aufgezeichnete und gesendete Worte.
PSYCHISCH
Das damit verbundene soziale Unwohlsein wirkte sich dann auch auf die Psyche aus. Dort wurden wir als Individuum und als Gesellschaft immer wieder in Handlungsbereitschaft versetzt und herausgefordert. Durch sich täglich ändernde Nachrichtenlagen auf die man hat sich immer wieder kurzfristig einstellen musste, konnte die Psyche nicht zur Ruhe kommen und sich auf die gewohnt konstanten Rahmenbedingungen des Lebensalltags verlassen. „Welche Regelungen gelten ab morgen? 2G, 3G, Lockdown, Teil-Lockdown, Öffnungen oder Teilöffnungen? Darf ich mich mit zwei oder zehn Personen treffen? Haben wir morgen Präsenz- oder Distanzunterricht? Gelten in Niedersachsen die gleichen Regelungen wie in Nordrhein-Westfalen, wenn ich meine Familie besuchen will? Was ist die richtige Verhaltensweise?“ Diese und noch unzählig viele weitere Fragen lösten psychischen Stress aus. Permanentes „sich neu auf Situationen einstellen und reagieren müssen“ belastete und reduzierte die Möglichkeit, der Seele Ruhe zu verschaffen.
KÖRPERLICH
Am offensichtlichsten wurde der Umgang mit und der Blick auf unsere körperliche Gesundheit verändert. Gesund zu leben und das rundum in allen Bereichen (Ernährung, Bewegung, Ruhe, etc.) wurden in das Zentrum des Bewusstseins gerückt. Der Virus kann unvermittelt und ohne Vorwarnung die Gesundheit jedes Individuums schwächen und sogar -im schlimmsten Fall- das Leben beenden. Wir konnten im Miteinander beobachten, wie sich insbesondere der Blick auf eine gesunde Ernährung während der vergangenen Monate verändert hat. Es wurde vermehrt mit frischen oder aber mit Convenience Produkten zuhause gekocht. Familien und Singlehaushalte mussten sich über einen langen Zeitraum wieder bewusster mit diesem Thema auseinandersetzen, da Restaurants und Take-aways geschlossen waren. Das hat bei einem großen Teil der Gesellschaft durchaus zum Nach- und Umdenken geführt. Auch der Blick auf die sportliche Fitness wurde verstärkt. Wir haben das „Spazieren gehen“ wieder neu entdeckt und das Joggen und Sport machen in der freien Natur. Diejenigen, die vor der Pandemie in diesen Bereichen nicht viel Interesse hatten, wurden entweder wach und aktiv oder haben sich noch tiefer in die Gleichgültigkeit und Bewegungslosigkeit begeben. Diejenigen, die Ernährung und Sport schon immer wichtig fanden, haben sich noch tiefer in die Thematik eingearbeitet.
SCHULGESUNDHEIT
Schüler sprechen nur sehr selten miteinander über ihre Gesundheit. Viel häufiger sind es die Lehrer, die Hilfestellungen zu diesem Thema geben können und je höher der Anteil der motivierten und veränderungsbereiten Lehrkräfte ist, umso eher gelingt der durchaus anstrengende und langwierige Entwicklungsprozess hin zu einer gesunden Schülerschaft und gesunden Schule. Im vergangenen Jahr konnten wir beobachten, dass das Nachfragen der Lehrer über den psychischen Gesundheitszustand des einzelnen Schülers deutlich gestiegen ist. Die Lehrkräfte haben in erster Linie einen Erziehungsauftrag. Sie müssen die Kinder für die Zukunft ausrüsten, ihnen die wichtigen Dinge beibringen, Konflikte lösen, ein soziales Miteinander anregen und fördern. Durch Mitbestimmung und das Erlernen selbständiger Arbeitsweisen sollen Schüler Selbstvertrauen und ein größeres Selbstwertgefühl entwickeln. Eine herausfordernde und schwierige Aufgabe für die Lehrerschaft, die in ihrer Freizeit selbst als Privatperson und Familienmitglied mit allen Problemen konfrontiert ist, wie die Schüler- und Elternschaft auch.
Während der Pandemie wurde dieser Lehrauftrag aber noch deutlich ausgeweitet, nämlich auf die Gesundheit der Schülerschaft zu achten. Denn nur psychisch und physisch gesunde Schüler können dem Leistungsanspruch und dem Konkurrenzdruck, die während dieser Zeit unverändert hoch geblieben sind, gerecht werden. Während der Pandemie haben sich zwei unterschiedliche Schülertypen sehr deutlich heraus kristallisiert: diejenigen, die die sich täglich verändernden Ereignisse und Herausforderungen und die soziale Distanzierung weggesteckt haben, als hätte es sie nie gegeben und diejenigen, die man gar nicht wieder erkennt, weil sie sich völlig verändert haben und man sie zum Teil „verloren“ hat. Warum verloren? Gerade jüngere Menschen leiden durch die Pandemie an psychischen Krankheiten. Das kann der Freund aus dem Fußballverein sein, der nicht mehr auf Nachrichten antwortet, der Sitznachbar aus der Schule, der nur noch schlecht gelaunt ist oder vielleicht sogar die Schwester oder der Bruder, die nur noch im Zimmer hockt, Fernsehen guckt, Netflix streamt oder Computerspiele spielt.
Und wie können wir diese Mitschüler wieder zurückholen und wiederfinden? Das geht nur gemeinsam, als Schulfreund, als Clique, als Klassen- oder Kursgemeinschaft. Einfach im Kontakt bleiben, mal nachfragen, wenn nötig auch mal „nerven“ und dem Gegenüber zeigen, dass man wirkliches Interesse hat und unterstützen möchte. Wenn wir zukünftig die Frage stellen oder gestellt bekommen „Wie geht’s?“, sollten wir uns die Zeit nehmen und gegenseitig schenken, um ehrlich und mit Bedacht zu antworten und wirklich hinzuhören.
Oder umgekehrt: „Wenn Du nicht die Zeit und das Interesse hast, meine Antwort zu hören, dann frage mich nicht, wie es mir geht!“ Angebote zur Konflikt- und Krisenbewältigung für Schülerinnen und Schüler mit besonderen Bedürfnissen finden schon seit vielen Schülergenerationen statt. Heute sollte man diese Angebote jedem Einzelnen aus der Schulgemeinschaft anbieten und hierzu gehören auch Eltern- und Lehrerschaft.
Betrachtet man eine Schulgemeinschaft als eines der kleineren Gebilde einer Gesellschaft und überträgt die Erkenntnisse, Bedarfe und Herausforderungen auf die Gesellschaft im Ganzen, dann könnte unser Fazit lauten:
Eine gutes soziales und seelisches Wohlbefinden ist für eine gesunde Gemeinschaft essenziell wichtig. Ein ausgeglichenes Verhältnis im körperlichen, sozialen und seelischen Wohlbefinden des Einzelnen ist keine Selbstverständlichkeit, sondern das höchste Gut einer gesunden Gesellschaft. Mit Achtsamkeit, Verständnis, Fürsorge, Rücksichtnahme und Beharrlichkeit können wir gemeinsam auf die Gesundheit des Gegenüber achten. Jeder und jede sollte täglich für diese Gesundheit dankbar sein, denn sie ist niemals als selbstverständlich anzusehen.