Prof. Dr. Hannes Adomeit, Bundeszentrale für politische Bildung
Russlands heutiges Verhältnis zu den drei baltischen Staaten Lettland, Estland und Litauen ist stark von der Geschichte geprägt und belastet. Die zentralen Streitpunkte sind dabei die Umstände des Beitritts der baltischen Staaten zur Sowjetunion 1940.
Als Russland 1996 dem Europarat beitrat, verpflichtete es sich, „Entschädigung für die Personen, die aus den besetzten [sic!] baltischen Staaten deportiert wurden und die Nachkommen der Deportierten zu leisten … und diese Fragen so schnell wie möglich zu lösen“. Gleichzeitig erklärte das russische Außenministerium aber, dass die Annexion der baltischen Staaten sowohl legal als auch legitim gewesen sei. Die unter großen Menschenopfern erfolgte „Befreiung“ der Balten von der Nazi-Herrschaft würde ignoriert, die europäische Geschichte von ihnen „umgeschrieben“.
Streitpunkt: Russische Minderheiten
Verschärfend kommt in der Sicht des Kremls hinzu, dass die Menschenrechte der russischen Minderheit in zwei der drei baltischen Staaten, in Estland und Lettland, grob verletzt würden. Moskau hat Tallinn und Riga deswegen scharf angegriffen und das „chronische Problem der Staatenlosigkeit“ in den beiden Ländern als „beschämend“ und „schändliches Phänomen“ bezeichnet. Seiner Interpretation zufolge, entsprächen die Anforderungen für die Staatsbürgerschaft (Bestehen einer Sprachprüfung und einer Bürgerschafts-Prüfung) in diesen beiden Ländern sowohl in der Gesetzgebung als auch in der Praxis nicht den internationalen Normen.
Moskau thematisiert die Schließungen russischsprachiger Schulen und angebliche Diskriminierung ethnischer Russen im Arbeitsleben in Lettland. Problematisch bleibt, dass etwa die Hälfte der russischen Minderheit in Lettland nur Russisch spricht.
Moskau hat sich zum Anwalt der russischsprachigen Minderheit in Estland gemacht und kritisiert, dass (angeblich) rund 100.000 der 1,3 Mio. Bewohner des Landes zurzeit keine Staatsbürgerschaft besitzen. Im Gebietsteil Narwa mit seinen 85.000 Einwohnern verfügten lediglich 6.000 Bewohner über einen estnischen Pass. Allerdings will sich ein großer Teil der russischsprachigen Bevölkerung bis heute weder für die estnische noch für die russische Staatsbürgerschaft entscheiden.