Wie Schüler*innen, Lehrkräfte und Bibliotheken gemeinsam das Lernen neu denken.

Schule oder Bibliothek? Pflicht oder Freiheit? Stundenplan oder Selbstbestimmung? Ein Standpunkt-Gespräch in der Zentralbibliothek Mönchengladbach – Heimat der jungen Redaktion – zeigt: Lernen muss nicht nach Stundenplan und Druck funktionieren.
Emil, Simon, Justus, Sofija und Ida, Schüler*innen der Gesamtschule Hardt und Standpunkt-Redakteur*innen, die Projektkoordinatorin und Lehrerin Dorothee Vollmer und Yilmaz Holtz-Ersahin, Fachbereichsleiter Bibliothek und Archiv, über das, was Schule oft nicht schafft – und die Bibliothek manchmal ganz selbstverständlich bietet: Räume für echtes, selbstbestimmtes Lernen und über Bildung, die Vertrauen schafft – und nicht nur Leistung misst.
„In der Bibliothek bist du frei – du entscheidest selbst.“
Es ist ein Satz von Yilmaz Holtz-Ersahin, dem Bibliotheksleiter, der hängen bleibt:
„In der Bibliothek bist du frei, du kannst selbst entscheiden. Das ist Selbstermächtigung.“
In der Bibliothek gilt: kein Leistungsdruck, keine Noten, keine Pflicht. Dafür Raum für Entfaltung – und echte Motivation. „Hier bist du frei. Du kannst dich selbst organisieren. Du wirst nicht bewertet, sondern begleitet“, erklärt Yilmaz Holtz-Ersahin. Er versteht Bibliotheken als “non-formale Bildungseinrichtungen” – also Lernorte, die nicht kontrollieren, sondern inspirieren. Was damit gemeint ist, wird schnell deutlich. In der Bibliothek gilt kein Notendruck, keine Pflichtanwesenheit, kein Abhaken von Lehrplänen. Stattdessen: Workshops zu Themen, die wirklich interessieren. Makerspaces, Podcaststudios, KI-basierte Recherchedatenbanken. Räume, die neu gedacht wurden – barrierefrei, modern, offen. Und vor allem: niedrigschwellig und kostenlos.
Lernen nach Stundenplan – oder nach Interesse?
Die Lehrerin Dorothee Vollmer spricht offen über die Grenzen des aktuellen Schulsystems. Als Lehrerin und Projektkoordinatorin kennt sie beide Welten. In der Schule erlebt sie, wie viel Potenzial oft an starren Strukturen scheitert.
„Wir arbeiten oft in Räumen, die für differenziertes Lernen gar nicht gemacht sind – und dann kommt der Lehrplan, vollgestopft. Da bleibt kaum Raum für echtes Verstehen.“
Sie spricht von „Lernbulimie“: lernen, ausspucken, vergessen. Der Frust ist auf beiden Seiten spürbar – bei Lehrerinnen wie bei Schülerinnen. Denn Kreativität, Selbstorganisation und Neugier passen schlecht in ein System, das auf Gleichschritt, Leistung und Bürokratie ausgerichtet ist und Lernfrust statt Lernlust erzeugt.
„Wir lernen für Noten, nicht fürs Leben.“
Was die Jugendlichen sagen, ist ehrlich – und alarmierend: „In der Schule geht es nur um Leistung. In der Bibliothek kann ich wirklich lernen – ohne Stress.“ „Wir bekommen zu viel Stoff, der nichts mit unserem Leben zu tun hat.“ „Ich will mehr entscheiden dürfen. Mehr machen, was mich interessiert.“ Ein Schüler erzählt, wie er in einem Bibliotheksprojekt zum Thema Filmproduktion das erste Mal richtig in ein Thema eintauchen konnte – mit anderen zusammen, ohne Druck, mit echter Motivation.
Was hier möglich ist, geht über den Unterricht hinaus. Neben Leseplätzen, WLAN und Lounge-Ecken gibt es digitale Recherchedatenbanken, Makerspaces, Film- und Tonstudios und sogar Workshops für Robotik oder KI. Für Schüler*innen und Redakteur*innen wie Emil, Ida, Justus oder Sofija ist klar: Hier ist Bildung greifbar.
„Es war wirklich spannend, Teil dieses Gesprächs zu sein und gemeinsam über die Zukunft des Lernens nachzudenken,“ sagt Sofija im Anschluss an den Austausch. „Für mich war das Gespräch ein Moment, in dem ich gemerkt habe, dass Lernen so viel mehr sein kann als nur Unterricht.“
Die Bibliothek als Bildungsraum der Zukunft





Für Yilmaz Holtz-Ersahin ist die Bibliothek längst mehr als ein Ort zum Bücherleihen:
„Wir sehen uns als non-formale Bildungseinrichtung. Niemand muss hierherkommen – aber alle dürfen. Und sie kommen, weil sie hier etwas finden: Ruhe, Technik, Austausch.“
Neben klassischen Medien bietet die Bibliothek digitale Lernwelten, KI-Recherchehilfen, thematische Erlebnisräume. Und: eine Haltung. Demokratie, Diversität, Nachhaltigkeit – das sind keine Buzzwords, sondern Grundprinzipien.



Und jetzt? Was sich ändern muss.
Lehrerin Vollmer fordert, dass Schule sich verändert – nicht in der Theorie, sondern im Alltag:
„Wir brauchen tragfähige Räume. Technik, die funktioniert. Freiräume, die nicht gleich wieder durch Organisation und Kontrolle erstickt werden.“
Sie plädiert dafür, Schüler*innen stärker einzubinden – in Projekte, Entscheidungen, Gestaltung. Nicht als Symbolik, sondern als echte Mitbestimmung.
Lernen neu denken – mit Bibliotheken als Vorbild
Was dieses Gespräch zeigt: Lernen funktioniert dann gut, wenn es bedeutsam, selbstbestimmt und inspirierend ist. Wenn junge Menschen Räume finden, in denen sie nicht nur zuhören – sondern mitgestalten. Die Schule tut sich oft schwer damit. Die Bibliothek macht es längst vor. Bibliotheken sind keine Ausweichorte. Sie sind Zukunftslabore für Bildung und Wissensbörsen. Und vielleicht auch: ein Modell für eine Schule, die wirklich für Schüler*innen da ist. Das neue Konzept der Bibliothek setzt auf Räume zum Zuhören, Diskutieren, Forschen und Gestalten – Lernlust statt Lernfrust. „Wir wollen ein Bildungspartner sein – nicht ein stilles Archiv. Ein Ort, an dem junge Menschen neugierig bleiben.“
Was sich Schüler*innen wirklich wünschen
Was alle Schüler*innen in der Runde gemeinsam sagen: Sie wünschen sich mehr Freiräume, mehr Mitbestimmung, mehr Relevanz. „Vieles, was wir in der Schule lernen, brauchen wir im Leben gar nicht“, kritisiert Simon. Sie wollen eine Schule, die zuhört – nicht nur anweist. Und die Räume, in denen Verantwortung statt Gehorsam zählt.Wir lernen mehr, wenn wir selbst entscheiden dürfen – und nicht, wenn alles vorgegeben ist.“
Lernräume, die Sinn machen.
Das Gespräch zeigt: Es geht nicht nur darum, wie Schule sich verändert – sondern wo Lernen überhaupt stattfindet. Bibliotheken wie die in Mönchengladbach können zu Keimzellen eines neuen Bildungsverständnisses werden: offen, selbstbestimmt, gemeinschaftlich. Denn Lernen ist mehr als Prüfungen bestehen. Es ist das, was bleibt, wenn man sich entfalten darf – im eigenen Tempo, mit echten Fragen und in Räumen, die stark machen.
Stimmen aus dem Gespräch:
- „In der Schule geht es oft ums Funktionieren – in der Bibliothek ums Entdecken.“
- „Bildung darf kein Stresssystem sein. Sie soll stärken – nicht auslaugen.“
- „Lernen fürs Leben – nicht für die Klausur.“
Redaktioneller Hinweis:
Dieser Beitrag entstand im Rahmen eines Kooperationsprojekts zwischen der Stadtbibliothek Mönchengladbach und dem Standpunkt-Magazin. Ziel ist es, Bildungsräume der Zukunft sichtbar zu machen – und jungen Menschen eine Stimme zu geben. In der neuen Podcast-Folge könnt Ihr ausgewählte O-Töne aus dem 90-minütigen Gespräch nachhören, die Justus, Emil und Simon mit Hintergrundinformationen moderieren werden.
