Als Alice Sara Ott und Francesco Tristano am Samstag Abend im KUNSTWERK Wickrath die Bühne mit ihren Interpretationen von Ravels „Bolero“ und Strawinskys „Sacre“ stürmten, da lagen ihnen die Zuschauer zu Füßen.
Hautnah und geradezu unheimlich physisch erlebte das Publikum diese zwei klassischen Stücke. Und ERLEBEN ist hier nicht als Floskel zu verstehen: tatsächlich war es faszinierend mit allen Sinnen wahrzunehmen, wie Ott und Tristano auf ihren Instrumenten ohne Worte kommunizierten, wie sie hämmerten, zupften, die Luft anhielten und zeitweise von ihren Klavierhockern abhoben. Klanglandschaften, mal molekular-fragil, mal opulent und fett, wurden da im Kunstwerk kreiert und plötzlich standen Fragen im Raum: wie „klassisch“ sind eigentlich Stravinsky und Ravel wirklich? Stravinsky und Ravel im Club? Warum nicht!
Ein vollwertiger „Sacre du Printemps“, der seine 30 Minuten Spielzeit braucht, ist wahrlich keine weichgespülte Klassik. Doch bei ClubbingClassic stört diese intensive halbe Stunde niemanden; wem die Zeit nicht wie im Fluge vergeht, kann entspannt um die Pianisten herum gehen, sich etwas zu trinken holen, ein Foto machen und mit der Welt teilen. Das Konzept des Abends geht gleich am Anfang auf: hier geht es um Musik, nicht um Etikette oder einen Wettbewerb im Stillsitzen.
Auch die Besucher sind in Bewegung: Zwischendurch rausgehen, auf dem Boden einen Happen Essen — alles kein Problem.
Junge und Alte sitzen, stehen oder hocken da im Kunstwerk und hören im 2. Act den Übergang, die Transformation: Francesco Tristano spielt ein Piano-Solo, das sich endgültig jeder Schubladensortierung verweigert. Ist das klassisch, elektronisch oder Soundtrack Music? Diese Fragen irritieren mehr, als dass sie weiterhelfen — Musik, die Akkordfolgen von Bach zitiert und Rhythmen aus dem Club aufgreift, die mal wüst und unnahbar und mal intim und leise daher kommt, will einfach nur erfahren werden.
Und nebenbei eine spontane Weltpremiere!
Das gilt auch für den anschließenden Auftritt des Techno-Trios Brandt Brauer Frick (3. Act): zusammen mit Francesco Tristano und einer spontan dazukommenden Alice Sara Ott am Piano steigert sich der Klang von Schlagzeug, Saiten, Synthesizer und abgemischten Sounds zu einem audio-visuellen Feuerwerk, dass garantiert Stahlkraft über die Grenzen von Mönchengladbach hinaus hat. Die Kombination von Brandt Brauer Frick (Weltklasse Grenzgänger) und Alice Sara Ott und Francesco Tristano (Weltklasse Pianisten) war so noch nie zuvor erleben — hier von einer (spontanen) Weltpremiere zu sprechen ist nicht übertrieben.
Brandt Brauer Frick beschreibt seinen Stil als emotionale Körpermusik. Bei ClubbingClassic manifestiert sich diese Bezeichnung in konkreter positiver Energie mit höchstem musikalischem Anspruch. Das Publikum übersetzt das wahlweise mit „einfach geil“ (23-jährige Besucherin) oder „unerwartet, aber definitiv etwas, wofür ich mich begeistern kann“ (69-jähriger Besucher).
Das Resümee dieses Konzertabends, ins Leben gerufen vom „Verein der Freunde und Förderer der Musik in Mönchengladbach“ ist auf emotionalem Level kaum besser zusammenzufassen. Hier wird Musik präsentiert, die begeistert, nicht mittelmäßig ist und auf die sich jeder einlassen kann – wenn er dazu bereit ist.
Die Zukunft der klassischen Musik ist vielfältiger, als manch einer denkt!
Wenn Alice Sara Ott sagt, die spielt gerne barfuß Klavier, weil sie sich wohlfühlen möchte, trifft sie damit den Nerv des Abends: Leute, entspannt euch! ClubbingClassic zeigt, dass klassische Musik eine Zukunft hat, die gewiss nicht auf alten Pfaden und isoliert von der Lebenswirklichkeit vieler Menschen stattfindet. Die Klassik darf hier wieder ausprobieren, spielen, Experimente wagen, neue Verbindungen eingehen und auch mal scheitern. Das ist eine Chance! Und wer braucht schon verbale Schubladen, wenn es Musik wie die von Tristano, Ott und Brandt Brauer Frick gibt, die man einfach mit allen Sinnen erleben muss!
Das dies auch elektronische Musik schaffte, zeigte die anschließende Aftershow Party im Raum 38, bei der die Generationen im Club der Kunstgeschwister im Raum 38 mit den DJ Sets von Jonas Mantey und Korbinian Groll die Nacht zum Tag machten.
Fotos: Max Zdunek, Dominik Rau