Drei Ausflüge ins Rheinische Braunkohlerevier
Auf drei Exkursionen im Frühjahr 2019 dokumentierten Schüler*innen der Mönchengladbacher Gesamtschule Hardt dieses Engagement sowie das Umfeld Keyenbergs, Manheims und des Hambacher Forsts.
Projekt ‚Fotografie‘: Frank Breuer Fotos: Karim Ben Haid, Frank Breuer, Maximilian Gaidul, Sven Hess, Lara Mund, Daniel Purrio, Jaron Riedl
Manchmal scheint es fast so zu sein, als würden wir die Welt mit einem großen Fernrohr betrachten: Ganz klar sehen wir in anderen Ländern Urwaldrodungen, Raubbau an der Natur, Korruption und Vertreibung von Mensch und Tier. Aber mit diesem großen Fernrohr schaffen wir es einfach nicht, auf das zu fokussieren, was direkt vor unserer Tür geschieht, es ist einfach zu nah. Das, was durch die Forderungen unseres westlich geprägten Wirtschaftssystems in anderen Ländern oft mit Macht und Gewalt durchgesetzt wird, ist hier in Deutschland an Rechtsstaatlichkeit und demokratische Prinzipien gebunden. Doch um klarer und mit eigenen Augen zu sehen, was dennoch auch hier bei uns möglich ist, ist es manchmal gut, vor die Tür zu gehen.
Wälder, Bäume, Büsche, Sträucher und Hecken werden gerodet, Häuser, Höfe und Kirchen werden abgerissen. Die Bewohner müssen umsiedeln oder sie werden enteignet. Fruchtbarer Ackerboden wird abgetragen. Dort, wo einst die alten orte Otzenrath, Spenrath, Holz, Pesch und Borschemich waren, ist nun die 210 Meter tiefe Grube des Tagebaus Garzweiler II. Immerath ist bereits zerstört, Keyenberg soll folgen, dann Lützerath, Ober- und Unterwestrich, Kuckum und schließlich Berverath. Südlich des Tagebaus Hambach werden derzeit die Orte Manheim und Morschenich abgerissen. Der Tagebaubetreiber RWE nennt es „Rückbau“. Um Tagebau und Braunkohleförderung zu ermöglichen, muss der Grundwasserspiegel weiträumig abgesenkt werden. im gesamten Rheinischen Braunkohlerevier pumpen tausende sogenannte Sümpfungsbrunnen derzeit jährlich 570 Millionen Kubikmeter Grundwasser ab.
Das entspricht dem Volumen eines Kubus von 1.000 m x 1.000 m Grundfläche und 570 m Höhe. 280 Millionen Kubikmeter davon werden in die Flüsse Erft und Rur abgeleitet. Allein für den Tagebau Garzweiler wird mit über 100 Millionen Kubikmetern pro Jahr der sechsfache Wasserbedarf der Stadt Mönchengladbach abgepumpt. In bis zu 210 Metern Tiefe lagert die Braunkohle im Tagebau Garzweiler. Sie ist weniger stark verdichtet als Steinkohle und hat einen Wasseranteil von 55-60 %. Ihr Heizwert gegenüber der Steinkohle ist um zwei Drittel niedriger. In den oberen Kohleschichten des Tagebaus, in 40-70 Metern Tiefe, ist die geochemische Phase des Prozesses der „Inkohlung“ noch nicht so weit fortgeschritten, wie in tieferen Schichten. Baumstämme und holzartige Strukturen sind daher in den oberen Kohleflözen immer noch sehr gut zu erkennen. Erdgeschichtlich entstammen sie den Küstensümpfen des Miozän und sind somit zwischen 5 und 20 Millionen Jahre alt. Die Emissionen durch Braunkohleabbau und Kraftwerke im Rheinischen Revier sind beträchtlich: Feinstaub, Quecksilber, viele andere Schadstoffe und mit 90 Millionen Tonnen (2015) fast ein Drittel der klimaschädlichen CO2-Emissionen Nordrhein-Westfalens. Laut einer Ende 2017 veröffentlichten Publikation des Umweltbundesamtes belaufen sich allein die durchschnittlichen Umweltkosten für eine aus Braunkohle erzeugte Kilowattstunde Strom auf 19,19 Cent – bei einem Endverbraucherpreis von 29,88 Cent. Protest und Widerstand gegen Tagebau und Braunkohleverstromung dauern seit mittlerweile über 40 Jahren an. Die Formen des Protests sind vielfältig und vielfältig sind auch die Motive und Forderungen: Erhalt von Dörfern und Heimat, gegen Zwangsumsiedlung und Enteignung, für Umwelt- und Naturschutz, Begrenzung der Erderwärmung und Einhaltung der Klimaziele, Klimagerechtigkeit mit dem globalen Süden, Wachstums- und Kapitalismuskritik. Sowohl durch internationale Klimaschutzabkommen als auch durch die anhaltenden Auseinandersetzungen um die politisch motivierten Baumbesetzungen im Hambacher Forst sind Tagebau, Wald, Dörfer und Braunkohleverstromung wieder verstärkt in den medialen Fokus gerückt.
In den letzten Jahren haben sich verschiedene initiativen sowie eine wachsende Anzahl von Bürger*innen und Aktivist*innen miteinander vernetzt und engagieren sich auf Wald- und Dorfspaziergängen, Demonstrationen und dem „Sternmarsch nach Keyenberg“. Auf drei Exkursionen im Frühjahr 2019 dokumentierten Schüler*innen der Mönchengladbacher Gesamtschule Hardt dieses Engagement sowie das Umfeld Keyenbergs, Manheims und des Hambacher Forsts.
Mit einer Auswahl der dabei entstandenen Fotografien bietet ein Fotobuch einen kleinen und zeitlich begrenzten Einblick in das äußerst komplexe Thema.
Die Abschlussausstellung und das Fotobuch-Dummy „Zu Nah“. Drei Ausflüge ins Rheinische Braunkohlerevier“ entstanden im Schuljahr 2018-2019 während des Fotografieprojekts „Ein Foto ist selten allein – Vom Sammeln, Ordnen, Collagieren und Dokumentieren“ an der Gesamtschule Hardt, im Rahmen des Landesprogramms NRW Kultur und Schule. Gefördert wurde es durch das sowie durch die Stadt Abschlussausstellung und Fotobuch-Dummy basieren auf Fotografien und Bildkombinationen der beteiligten Schüler*innen:
Karim Ben Haid, Maximilian Gaidul, Sven Heß, Lara Mund, Jaron Riedl und Joshua Sänger. Die Projektleitung hatte Frank Breuer, der auch für das Fotobuch-Dummy die Konzeption, Grafik, Design, Recherche, Text und Postproduktion übernahm.
Mit herzlichem Dank an Susanne Kölling und Axel Mugge-Dinn, Dorothée Vollmer und das Kulturbüro Mönchengladbach sowie an alle Menschen, die sich für dieses Projekt porträtieren ließen.