„Die Menschen hier sind von Putin sehr abhängig“

#standwithukraine – throwback moskau 2015

In Zeiten internationaler Krisen sind Manipulation und Propaganda als politisches Instrument stark in Mode. Nicht nur in Russland muss man aufpassen, wenn von der Regierung mit dubiosen Zustimmungswerten für die eigene Politik geworben wird. Der Wahrheitsgehalt verbreiteter Informationen sind in einem Land, das die Medienlandschaft weitestgehend kontrolliert, schwer einzuschätzen. Wir haben mit dem Soziologen Denis Volkov gesprochen, der sich am Lewada-Zentrum für unabhängige Meinungsforschung um die Wahrung unvoreingenommener Zahlen kümmert. Im Gespräch mit standpunkt gab es überraschende Erkenntnisse, die aber vor allem helfen, politische Prozesse und dessen gesellschaftlichen Hintergründe besser zu verstehen.

Das Interview wurde am 5. März 2015 in Moskau geführt.

Wir glauben, dass es in Deutschland ein stereotypes Bild von der russischen Jugend gibt, das sehr negativ ist. Was würden Sie über junge Leute in Russland sagen?

Ich glaube, das hängt vom Wohnort ab. Wenn wir von großen Städten wie Moskau oder Sankt Petersburg reden wird sich das nicht groß unterscheiden von Frankfurt oder Berlin in Deutschland. Junge Leute in großen Städten sind offener. Sie reisen mehr und sind daher vielleicht toleranter. Hier in Russland ist jedoch die Zustimmung gegenüber Migration nicht besonders groß, auch bei der jungen Generation. Zudem haben wir die Situation, dass es eine breite Zustimmung für die Regierung gibt, was ich mir durch fehlendes, politisches Interesse erkläre. Viele junge Leute hier kennen die historischen Hintergründe nicht und werden dadurch anfälliger für Propaganda. In kleineren Städten haben die Leute wenig Möglichkeiten, sich überhaupt zu informieren. Soziale Netzwerke sind da als Alternative sehr beliebt. Oft werden diese aber nur zum Vergnügen genutzt und nicht, um sich politisch zu informieren.

Wenn wir über soziale Netzwerke reden, was gibt es sonst noch für Kanäle, die von Jugendlichen genutzt werden?

Fernsehen ist hier sehr stark verbreitet. Etwa 90 Prozent der Bevölkerung informieren sich über staatliche Fernsehkanäle. Dazu wächst das Internet gerade sehr schnell. Es gibt dort beliebte Newskanäle, die seit der Ukraine-Krise aber zum größten Teil von der Regierung kontrolliert werden, was die Situation schwierig macht. Seit den Massenprotesten in den Jahren 2011 und 2012 sind auch unabhängige Zeitungen dem Druck der Regierung zum Opfer gefallen. Und seit den Maidan-Protesten hat sich noch einmal alles verändert, weil es ein dominierendes Thema in den Medien gibt, was dazu sehr emotional diskutiert wird. In dieser Periode und insbesondere nach der Annektierung der Krim sind die Beliebtheitswerte für Putin um etwa 20 Prozent gestiegen. Die starke Propaganda ist sicher ein Grund für diese Zahlen. Dazu muss man aber auch verstehen, dass es seit dem Zerfall der Sowjetunion ein Bedürfnis in der Bevölkerung gibt, zu alter Stärke zurückzukehren. Die russische Regierung hat darauf zu ihrem eigenen Nutzen klug reagiert.

Gibt es einen Zusammenhang zwischen Wohlstand und der Meinung zu Putin?

Bei Untersuchungen konnten wir sehen, dass es keine Rolle spielt, ob arm oder reich. Die Zustimmungswerte sind insgesamt sehr hoch zur Zeit. Wir nehmen aber an, dass diese Werte im Frühjahr vielleicht schon zurückgehen werden. Ein Trend zeichnet sich dort schon ab.

Wir haben mit jungen Bloggern geredet, die jetzt auf Facebook verbreiten, weil sie dort nicht unter das russische Medien- und Journalistengesetz fallen. Glauben Sie, dass diese Leute einen Einfluss auf die Bevölkerung haben oder ist das nicht sehr stark verbreitet?

Eher letzteres. Soziale Netzwerke können sicher nicht als eigenes Medium angesehen werden. Alexej Nawalny [Anm. d. R.: oppositioneller Aktivist und Kreml-Kritiker] hat vielleicht noch den größten Einfluss. Auf Twitter folgen ihm etwa eine Million Menschen, soweit ich weiß. Im Prinzip ist er die Medien. Leute wie Nawalny gibt es vereinzelt. Erfolgreich wird das aber auch erst mit der Hilfe unabhängiger Medien.

Gibt es Unterschiede bei dem politischen Engagement von Männern und Frauen im Vergleich?

Ich glaube, die gibt es. Unter den Regierungskritikern bei den Protesten der letzten Jahre gab es eine geringe Mehrheit bei der männlichen Gruppe. Ein weiterer Punkt ist interessant. Inzwischen sind viele Bürger des Landes beruflich abhängig vom Staat. Wladimir Putin hat nach seiner Wiederwahl 2012 hohe Gehaltserhöhungen versprochen und das hat viele Bürger dazu veranlasst sich in den Dienste des Staates zu stellen und sich loyal zu verhalten. Diese Gruppe wird oft als „dienende Klasse“ bezeichnet und ich glaube, das stimmt. Jedoch sehen wir auch, dass Wohltätigkeit in der Bevölkerung zunimmt und sich vielleicht eine Chance für sozialen Wandel ergibt, was auch zu einem politischen Umdenken führen kann. Das muss aber nicht zwingend der Fall sein.

Glauben Sie, dass es möglich ist, politische Veränderungen in drei Schritten zu erreichen?

Volkov: (grinst) Sie wollen von mir ein politisches Programm haben? Also, ich bin nicht in der Opposition und selbst die hat so etwas nicht. Trotz allem: Man sollte versuchen, die Bedürfnisse, Ängste und Interessen der Mehrheit zu verfolgen und ihre Positionen zu verstehen. Dazu ist es wichtig, die Bedeutung der zivilen Gesellschaft zu erkennen und zu unterstützen. Ich glaube, dass der Schutz von unabhängigen Organisationen sehr wichtig ist.

Gab es Zeiten, in denen es schwierig ist, unabhängige Forschung zu betreiben?

Ja und Nein. Wir hatten schwierige Situationen, in denen wir auch den Druck von Zeitungen gespürt haben. Heute sind wir in einer sicheren Position, bei der uns auch das befreundete Sacharow-Zentrum hilft. Das liegt aber sicher auch daran, dass wir hohe Zustimmungswerte des Präsidenten aufweisen können. Wir können aber nicht behaupten, das sich unsere Lage nicht jederzeit ändern kann.

Hier mehr Informationen zu den Hintergründen zur Meinungs- und Medienfreiheit in Russland.

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