Seit das Leben vieler Menschen weltweit ohne das Internet kaum mehr vorstellbar wäre, diskutieren Wissenschaftler seinen Einfluss auf unsere Wahrnehmung, unser Denken, unser Sozialverhalten, unsere Art zu kommunizieren. Auf jeden Fall teilt sich die Bevölkerung in zwei Lager: in Digital Natives und Digital Immigrants.
Die Berliner Künstlerin Britta Thie setzt sich aktuell mit ihrer Web-Serie „Translantics“ mit diesem Thema auseinander. 1987 geboren gehört sie zu den Digital Natives, den Menschen, die mit Computern und Internet, Videospielen und Smartphones, Tablets und Social Media aufgewachsen sind, also in die digitale Welt hineingeboren wurden und den Umgang mit ihr wie selbstverständlichbeherrschen. Diesen digitalen Eingeborenen stehen die digitalen Einwanderer, die Digital Immigrants gegenüber, den Menschen, die erst im Erwachsenenalter mit digitalen Technologien in Berührung gekommen sind.
Die Generation der Digital Natives ist es gewohnt, Informationen sehr schnell zu empfangen. Second Screen und Multichanel bestimmen ihren Alltag. Dabei bevorzugen sie eher Bilder als Texte. Sie lieben den direkten Zugriff und funktionieren vernetzt am besten. Sie posten alles, um die Echtheit der Situation oder des Ortes, an dem sie sich gerade befinden zu beweisen. Schnelle und häufige Belohnung bestimmt ihre Motivation. Digital Immigrants hingegen denken linearer und langsamer, Schritt für Schritt, eins nach dem anderen, individuell und wohlüberlegt.
Die Berliner Künstlerin Britta Thie macht Kunst für die digitale Generation. Ihr Projekt „Translantics“ wird nicht im Museum, sondern online ausgestellt. Sie selbst sagt von sich, dass sie ins Digitale pubertiert ist. In ihrer Webserie „Translantics“ trauern Großstadtmelancholiker ihrer analogen Jugend nach, so zeitonline. „Die Schirn hatte die Künstlerin gebeten, eine „Einzelausstellung im Digitalen Raum“ zu organisieren. Diese Ausstellung tritt nun als sechsteilige Serie auf, die von einem Leben in Zwischenzuständen erzählt: Zwischen Berlin, wo Britta Thie lebt, und Minden, wo sie herkommt. Zwischen dem Englisch, das in den verschiedenen Satelliten-Vierteln der internationalen Kunstwelt gesprochen wird, in denen sie arbeitet, und ihrer Muttersprache Deutsch. Zwischen der Kindheit im Analogen, über die sich mittlerweile ein Super-8-Filter gelegt hat, und der Gegenwart, die ihre Angelegenheiten vor allem im Digitalen regelt.“
Der Spiegel schreibt über sie: „Thie, Jahrgang 1987, Absolventin der Berliner Universität der Künste (UdK), macht Kunst, mit der sie nicht ins Museum will. Kunst, die ihre Generation abbilden soll, jene Jugend, die ins Analoge geboren wurde und im Digitalen aufgewachsen ist: Erste E-Mail in der Grundschule, erster ICQ-Flirt im Gymnasium, erstes StudiVZ-Gruscheln im Studium. Die Generation, die Kindheitsfotos auf Facebook postet, Analognostalgie in Binärcodes. Eine Generation im Dazwischen, das ist Thies Thema, ihre Bühne ist das Netz….
Zeichnet sich Thies Generation durch das in-between aus? „Alle sind so mild“, sagt Thie. „Nichts soll wehtun.“ Der Trailer zu „Translantics“ ist in Pastelltönen gehalten. Er erinnert an die Werbeästhetik von Modelabels wie American Apparel. „In diesem Pastell-Look reflektiert sich die Gefühlswelt meiner Generation.“ Für Thie zeigt sich diese Gefühlswelt nicht bloß in den Schaufenstern, sie zeigt sich auch in den Supermarktregalen. „Auf den Dove-Cremes steht ‚DeepCare Complex‘. Als würden sich die Lotions um uns kümmern.“
Jene Jugendmilde ist, so Thie, auch grundlegend für die Kommunikation über Dienste wie WhatsApp oder Facebook; „Shying away from punctuation“, so eine weitere Zeile aus dem „Translantics“-Gedicht. „In Textnachrichten drücken wir uns oft um Interpunktion herum“, sagt Thie dazu. „Und mit Emojis mildern wir alles noch so nonchalant ab.“ Ein Fragezeichen am Ende eines Satzes impliziere eine Absicht. Wer es weglässt, will sich nicht festlegen.“
„Translantics, ein digitales Kammerspiel eingebettet ins Netz, erzählt die Geschichte von drei jungen Frauen in Form einer Web–Serie. Translantics handelt vom Vorspulen, Umschalten zwischen Städten, Ländern, Sprachen, Jobs, Lebensphasen, Gefühlen und Partnern. Die drei Freundinnen bewegen sich in einem Freundeskreis aus internationalen Expats, überdreht und euphorisch, irgendwie alle gemeinsam globalisiert und doch gefangen in ihrem eigenen kulturellen System.
Die Expat-Kids schwanken zwischen Heimweh und Eroberungsgefühlen, spielen sich selbst oder vielleicht auch nur eine der vielen Versionen ihrer selbst. Man trifft sich nachts und im Netz, man schlägt sich irgendwie durch mit obskuren Jobs und Ibuprofen, schlägt sich ein Knie auf bei einem existenziellen Foto Shooting oder sich gegenseitig die Brille von der Nase. Man bricht sich tagtäglich das Herz in der übererregten Beziehungswelt von sozialen Netzwerken und Auto-Updates.
Aber was passiert mit echter Intimität, wenn Emotionen, Zuneigung und Ideen zu Produkten auf einem unersättlichen Marktplatz werden? Beziehungen entwickeln sich in einer pastellfarbenen Shopping Mall in Neukölln; auf dem Weg in die heimatlichen Kleinstädte in der Provinz, in semi-erfolgreichen Galerien mit New Yorker Import-Kunst, zwischen den Wolkenkratzern im Frankfurter Bankenviertel oder auf der anderen Straßenseite in Berlin: Diese Stadt, die transnationale Entdecker und Kreative magnetisch anzieht, die sich aber trotzdem weigert, den Sprung von der Peripherie zu einer echten Metropole zu machen. Every throwback is a throw-forward.
Translantics kann man als Portrait der Generation ’89 verstehen, plus-minus. Eine Generation in der Beta Phase, sie testet sich selbst und einander. Die Gegenwart: durchsichtig, temporär, im Dazwischen, zwischen hier und da, ihr und ihm, hier und jetzt. Bildauflösungen übertreffen sich auf dem SmartTV, Pixel reiben aneinander und werden dabei so scharf, dass der Gartenteich auf dem Handyvideo wie eine 3D Animation aussieht, der Hyper-Realismus lässt die Realität künstlich erscheinen. Geschichten fassen sich schneller in Bilder als in Worte, Skype-Fenster öffnen sich für Job Interviews, Kameras werden zu den Kontaktlinsen des inneren Auges, unserer mentalen Unschärfe.
Die Web-Serie „Translantics“ der Künstlerin Britta Thie ist die erste einer Reihe von digitalen Auftragsarbeiten der SCHIRN KUNSTHALLE FRANKFURT. In monatlichen Abständen erscheinen sechs Episoden auf der Plattform WWW.SCHIRN.DE/TRANSLANTICS (Quelle: http://www.schirn-magazin.de)
Die Schirn Kunsthalle Frankfurt hat das Internet als Ausstellungsraum entdeckt und präsentiert ausgewählte Werke nicht in Räumen sondern nur online:
http://www.schirn.de/Translantics/
Ein interessanter Beitrag zur Ausstellung und ein Gespräch mit der Künstlerin Britta Thie könnt Ihr bei WDR 5 nachhören:http://www.wdr5.de/sendungen/scala/services/servicenetzkultur/service-netzkultur-102.html