#standwithukraine – throwback moskau 2015
Zwei Frauen, zwei Biografien und zwei Karrieren im modernen Russland, die unterschiedlicher nicht sein können. standpunkt traf Aljona Arschinowa in der Staatsduma und Polina Flippowa im Sachorow-Zentrum für Menschenrechte.
Frauen bilden oft das Fundament großer Unternehmen Russlands und sind dort auch in politischen Parteien zu finden. Sie sind häufig die Mehrheit der Mitarbeiter, aber an der Spitze stehen trotzdem fast immer Männer. Zwar hat die Emanzipation auch in Russland spürbare Fortschritte gemacht, dennoch hat die russische Gesellschaft ihre patriarchalischen Strukturen nicht verloren. Frauen eignen sich immer aktiver „traditionell“ männliche Berufe an: Sie üben den Militärdienst aus, steuern Flugzeuge und reparieren Autos. Trotzdem ist der Weg auf der Karriereleiter für sie schwerer. Aber diese ist über regierungstreue Jugendorganisationen sicher einfacher zu erklimmen, wie wir auch von der jungen Abgeordneten Aljona Arschinowa, die in ihrer Partei für Bildung und Erziehung zuständig ist, erfahren konnten.
Die Interviews wurden am 8. März 2015 in Moskau geführt.
Über den Abgeordneteneingang ging es zu einem exklusiven Gespräch mit der jungen Abgeordneten der Putin-nahen Partei „Einiges Russland“; einer Karrierefrau, wie man sie auch in Europa und den USA treffen könnte: zielstrebig, organisiert und auf positive Außenwirkung bedacht.
„Russland hat viele Probleme zur Zeit“, meint Arschinowa im Gespräch. Die Freiheit von Journalisten und die Lenkung der Medien durch die Regierung zählt sie allerdings nicht dazu. „Ich denke, dass Journalisten manchmal wichtiger als Politiker sind, da sie uns zeigen, woran wir noch arbeiten müssen“ — das hört sich zwar gut an, wirkt vor dem Hintergrund der aktuellen Ereignisse in Russland, den Morden an mehreren Journalisten und des Einflusses, den der Kreml auf Journalisten hat, aber zynisch und realitätsfern. Frei berichten und unabhängig recherchieren können in Russland nur wenige Medien. Und die können gegen die gewaltige Verbreitung der regierungsfreundlichen TV-Sender, Zeitungen und Websites auch schon aus finanziellen Gründen kaum ankommen.
„Opposition finde ich ganz wichtig, schließlich muss ich jeden Tag mit ihr zusammenarbeiten!“ — Eine Bemerkung, gegen die nichts einzuwenden ist, die aber einen faden Beigeschmack hinterlässt, wenn man weiß, wie wenig Einfluss die gewählten Parteien in der Duma haben. Als parteiloser Präsident hat Putin mit seinen Ministern dabei fast unbegrenzte Vollmachten. Er schlägt sowohl die Judikative, als auch die Exekutive vor, hat ein Veto-Recht gegenüber den Vorschlägen der Förderationsversammlung und bestimmt den Ministerpräsidenten vor. Eine augenscheinliche Machtkonzentration, die unabhängige Gewaltenteilung nach westlichem Muster und eine starke Opposition kaum zulassen. Und eine Opposition, die ohnehin nur gering und verstreut ausfällt, kann praktisch nichts bewegen.
Die 30-jährige Abgeordnete bleibt im Gespräch geübt und professionell. Sie erinnert an die Talkgäste westlicher Medien oder Fussballer in der Halbzeitpause. Ihre Aussagen sind keine wirklichen Antworten, aber in allem ist der Stolz zu spüren, zum Putin-Team zu gehören. Schon in jungen Jahren hat sie sich in Putins Jugendorganisation engagiert und ist wegen dieser Arbeit auch für ihr Abgeordnetenamt vorgeschlagen worden. Ihr Ziel sei es, dass alle Menschen glücklich seien. Früher einmal waren russische Politiker dafür bekannt, dass sie klare Worte leeren Hülsen vorzogen — wenn Arschinova, wie die Medien berichten, für den Prototypen einer neuen Generation in der Partei „Einiges Russland“ steht, dann ist dieser Wert wohl verloren gegangen. Es bleibt das Gefühl, dass hier eine Generation Politiker das Ruder ergreift, die das politische System marketinggerecht aufgearbeitet haben und eloquent zu vertreten wissen. Das fällt besonders dann auf, wenn zwischen Gesagtem und Praktiziertem eine zu große Lücke klafft: Die Opposition als „wichtig“ zu bezeichnen und gleichzeitig die Neugründung einer Partei zu einem bürokratisch komplizierten Prozess auszubauen, geht schwerlich zusammen.
Im Sacharow-Zentrum engagiert sich Polina Flippowa für Menschenrechte. Die studierte Journalistin arbeitete lange Jahre als Pressereferentin eines Theaters, bis sie sich für ein Engagement in dieser Organisation entschied. Die enorme staatliche Einmischung selbst in kulturellen Bereichen war für sie nicht mehr akzeptabel. Am Sacharow-Zentrum informiert sie Menschen über die russische Geschichte und bietet einen Ort für Dialog. Gruppen aus verschiedenen Ländern haben hier die Möglichkeit über Menschenrechte zu sprechen.
Die Küche als Raum für Gespräche war nicht nur in Zeiten des kalten Krieges ein Ort für Gleichgesinnte. Auch standpunkt durfte bei Tee und Gesprächen Gedanken zur russischen Gesellschaft und deren Geschichte mit Polina austauschen. „Die Geschichte ist wichtig um zu verstehen, was zur Zeit passiert. Dafür interessieren sich viele junge Menschen aber nicht, da ein ehrlicher Blick zurück auch eine unbequeme Vergangenheit aufdecken könnte. Das ist eine Generation, die über Jahre vermittelt bekommen hat, dass Russland in allem die Nummer eins ist: diese Haltung macht inaktiv.“
Was sie sagt, scheint ehrlich und fundiert — nur Karriere machen kann sie mit dieser Ansicht im modernen Russland leider nicht. „Die Jugendorganisationen von Putin in den konservativen Parteien sind wie Netzwerke um rasch aufzusteigen“, erzählt sie. Natürlich setzt das andere, populärere Ansichten voraus. Sie selbst kämpft mit Repressalien der Regierung, geringen Budgets und Menschen, die sich nicht für ihre Arbeit interessieren und sie für „unwahr“ halten.
Im Sacharow Zentrum fand auch die Gedenkfeier des ermordeten Oppositionellen Boris Nemzow. Mehr dazu auf Spiegel.de
Dieser Beitrag wurde am 8. März 2015 von der Redaktion geändert. Die vorherige Version kann auf Anfrage eingesehen werden.