GESELLSCHAFT

EU Programm statt EU Flat

IMG_3891Europa hat mehr zu bieten als nur Verbrauchervorteile oder Bananen-Wiege-Verordnungen. Die Europäische Union braucht jedoch mehr denn je ein Konzept für die Zukunft. Sie darf nicht nur bewahren, sondern muss auch Visionen entwickeln, wie junge Menschen in Zukunft leben wollen und internationale Chancen nutzen können.

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Anlässlich des Europatages diskutierten Jugendliche mit dem Landtagsabgeordneten Jochen Klenner über politisches Engagement und die Zukunft Europas. Unkonventionell, offen und konstruktiv erlebten die Vertreter der Standpunkt-Redaktion und der SV den Austausch an der Gesamtschule Hardt.

Die Initiative „Pulse of Europe“ hat sich die Projektgruppe dabei zum Vorbild genommen, wie sie Mitschüler und andere Jugendliche für die Idee Europa begeistern kann.

Nachgefragt und aufgeräumt mit Vorurteilen und Klichees haben die Projektteilnehmer vorab erst einmal gemeinsam mit Jochen Klenner.

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Stichwort: „Politik ist was für Alte.“

Klenner: Entwicklung in der Politik lebt von den Erfahrungen der Älteren und den Visionen der Jüngeren. Die richtige Mischung ist wichtig und daher müssen in der aktiven Politik unterschiedliche Gruppen abgebildet sein. Menschen verschiedener Altersstrukturen, Berufsgruppen und auch Lebenskonzepten. Politik machen bedeutet auch Zukunft gestalten und daher freuen sich die Parteien über jeden jungen Menschen, der mitmacht, denn momentan liegt das Durchschnittsalter der Parteimitglieder bei ungefähr 60 Jahren.

Stichwort: „Politik hat keinen Freizeitfaktor.“

Klenner: Politik machen fängt oft erst einmal mit Wünschen und Bedürfnissen an, die man gerne in seiner persönlichen Umgebung oder Region umgesetzt sehen möchte. Im Freundeskreis diskutiert man diese Themen und merkt dabei nicht, dass das bereits Politik ist. Über Freizeit und Gemeinschaft kann Begeisterung wachsen, zusammen etwas zu bewegen.

Stichwort: „Auf mich hört ja eh keiner!“

Klenner: Politik wird oft isoliert betrachtet und erst einmal negativ besprochen. Wir vergessen jedoch, dass die meisten alltäglichen Dinge, die uns beschäftigen, irgendwie mit Politik zu tun haben. Alleine, dass man in Gemeinschaft zu einem Thema zusammen sitzt und diskutiert ist Engagement.

Natürlich ist es einfacher sich zu engagieren bei Themen, die einen persönlich betreffen. Das zeigt auch die erfolgreiche Arbeit von Bürgerinitiativen. Es war noch nie so leicht, sich zu engagieren und gehört zu werden.

Ein Politiker muss abwägen, was für Auswirkungen eine Entscheidung für die Menschen hat, die es betrifft und die es möglicherweise anders sehen. Da müssen Politiker Verantwortung für die Gesellschaft übernehmen und können sich nicht einfach per Volksentscheid der Aufgabe entziehen. Politisches Engagement muss über die Projekte, die einen selber betreffen, hinaus bestehen, ansonsten ist es egoistisch.

Stichwort: „Die machen sowieso nur das, was sie wollen.“

Klenner: Bei jeder Entscheidung hat man Leute dabei, die nicht der Meinung sind. Als gewählter Politiker hat man Verantwortung übertragen bekommen und muss sich auch unbequemen Fragen und Aufgaben stellen, die nicht beklatscht werden. Da kann die Verantwortung nicht einfach z.B. per Volksentscheid abgegeben werden.

Wichtig ist, dabei Meinungen zuzulassen und nachzufragen. Mit einer entsprechenden Transparenz werden Entscheidungen nachvollziehbar, auch wenn sie unbequem sind. Man muss auch Sachen machen, die nicht den direkten Applaus geben.

Stichwort: „Politikertalkshows sind mehr Shows als Gespräche.“

Klenner: Jugendveranstaltungen wie das Politiker-Speeddating oder „Deine Stimme zählt“ lassen es leider nicht zu, Themen zu vertiefen. Das persönliche Gespräch und der Kontakt sind entscheidend.

Gerade junge Menschen sind vor allem durch das Internet viel besser informiert als die Generationen vor ihnen. Politiker machen aber häufig den Fehler, dass sie soziale Medien nicht zur Kommunikation nutzen, sondern sie posten etwas und freuen sich dann, wie viele es angeklickt haben. Wichtiger ist es aber, in einen Dialog zu kommen.

Man sollte persönlich nachfassen, an Wahlversprechen erinnern und konstruktiv kritisieren, aber nicht über anonyme Posts oder Mails, sondern direkten Kontakt aufnehmen und Politiker damit konfrontieren.

Stichwort: „Jugendliche werden nicht ernst genommen.“

Klenner: Politik muss Jugendlichen besser zeigen, wo ihre Ansprechpartner sind, um Wege zu finden, bei denen man gehört und ernst genommen wird.

Dabei verstehen sich Politiker als Unterstützer, die Anliegen anschieben, begleiten und bei der Umsetzung helfen. Politik ist keine Dienstleitung, die man anruft und beauftragt, sie ist eine Partnerschaft, in der man etwas gemeinsam bewegt.

Jungen Menschen sind aufgefordert, ihre Zukunft mitzugestalten und die EU zu verbessern. Biografien ändern sich, Berufs- und Perspektivenwechsel werden in einer globalen und sich schneller entwickelnden Welt immer selbstverständlicher. Für diese Herausforderungen muss man offen sein, selbst aktiv werden, Verantwortung übernehmen und Europa mit gestalten.

Die Voraussetzungen dafür entwickeln junge Menschen aber nicht alleine in der Schule. In Zukunft sollten Schülerinnen und Schüler mehr Zeit zur Orientierung haben, damit sie ihre Stärken und Fähigkeiten entdecken. Zusammenhänge erfahren und dabei individuelle Wege gehen, kann man nur, wenn man Gelegenheiten hat, eigene Erfahrungen zu sammeln.

Rückkehr zum Abitur nach 13 Jahren, ein Auslandsjahr oder praktisches Jahr nach dem Schulabschluss, ein Nullsemester oder Auslandssemester wären nur einige Gelegenheiten, wie sich junge Menschen im zukünftigen Europa selbstverantwortlich und interessenbezogen weiterentwickeln könnten.

Stichwort: „Europa bedeutet gleiche Steckdosen und EU Handyflat.“

Klenner: Europa darf nicht Gleichmacherei bedeuten. Die europäische Gemeinschaft muss die individuellen Stärken ihrer einzelnen Partner und auch die Vielfalt entdecken und einsetzen, um als Gemeinschaft produktiv und bereichernd zu sein. So wie eine Mannschaft im Sport, die von den Stärken der einzelnen Spieler profitiert. Dann erfährt jeder, dass Europa Sinn macht und mehr wert ist als eine EU Flat.

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Um Visionen für ein Europa von Morgen zu entwickeln, braucht man einen positiveren Blick. Nur damit kann man Begeisterung wecken, sich mit dem Thema zu beschäftigen, meinte Jochen Klenner abschließend. Vorbilder und Anleihen dazu hat die Projektgruppe in der Initiative „Pulse of Europe“ gefunden:

Jeden Sonntag gehen Zehntausende für Europa auf die Straße. Die Bewegung „Pulse of Europe“ hat Bürger in ganz Europa mobilisiert. Die Bewegung macht Lust, sich mit Europa überhaupt zu befassen.

Die Bürgerinitiative „Pulse of Europe“ begeistert viele, die nicht länger nur über Europa schimpfen. Seit Anfang des Jahres gehen Tausende Menschen für Europa auf die Straße. Gegründet wurde die Initiative von einem Juristen-Ehepaar in Frankfurt als Reaktion auf den Brexit und die Trump-Wahl. Inzwischen findet der pro-europäische Protest in über 70 Städten in Deutschland und in mehr als 20 europäischen Städten statt.

Mit dem Aufruf „Europa darf nicht scheitern“ starteten Ende November 2016 etwa 200 Menschen mit der Initiative. Die Organisatoren möchten „den europäischen Gedanken wieder sichtbar und hörbar machen“, den sie in ihren zehn Thesen formulieren.

Die meisten Bürger sind von Ängstlichkeit getrieben statt von Zukunftsorientierung. Gestartet hat Gründer Daniel Röder die Initiative nach der Wahl Trumps in den USA. Das erste Ziel des Gründungsteams war es, bis zur Wahl in den Niederlanden und Frankreich für Europa zu werben und den Rechtspopulisten keine Chance zu geben.

Jetzt geht es darum, klare Ziele zu formulieren und die Bewegung lebendig zu halten. Aus dem „Pulse of Europe“ muss eine Debatte über die deutsche Europapolitik entstehen. „Pulse of Europe“ muss jetzt in den Zielen konkreter werden, um nicht abzubrechen. Die Organisatoren der Bewegung fordern, „dass die Parteien Europa auf ihrer To-Do-Liste ganz oben ansiedeln und sich klar positionieren“. Viele hoffen, dass sich die positive Energie der Initiative hier überträgt – und eine Debatte darüber entsteht, welches Europa wir wollen.

Die von Frankfurter Anwälten gegründete Pro-EU-Bewegung “Pulse of Europe” hat einen offenen Brief an die Fraktionsvorsitzenden der Parteien im Deutschen Bundestag, sowie die Bundesvorsitzenden und sonstigen Vertreter/innen der deutschen Parteien geschickt. Darin fordert die Gruppe die Politiker auf, vor der Bundestagswahl im September Stellung zu beziehen.

Die Bewegung ruft die Politiker konkret auf, Vorschläge zu machen, wie eine pro-europäische Strategie aussehen könnte, da die EU oft als zu abstrakt empfunden werde.

Hier kann man den offenen Brief im Wortlaut nachlesen.

Offener Brief

Sehr geehrte Fraktionsvorsitzende der Parteien im Deutschen Bundestag,

sehr geehrte Bundesvorsitzende der deutschen Parteien,

sehr geehrte Vertreterinnen und Vertreter der deutschen Parteien,

in den letzten Wochen und Monaten sind in über 130 Städten und Orten in 19 Ländern Europas zehntausende Menschen auf die Straße gegangen, um ein deutliches Zeichen für den Erhalt eines vereinten Europas, für Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Frieden zu setzen. Pulse of Europe aktiviert die europäische Zivilgesellschaft und bestärkt die europäische Idee. Auf unseren Sonntagsdemonstrationen entsteht regelmäßig ein positives, lebhaftes Miteinander über die Generationen hinweg. Es sind Orte politischer Willensbekundung und Meinungsbildung zu Europa entstanden. Der Ausgang der Parlamentswahlen in den Niederlanden und der Präsidentschaftswahlen in Österreich und Frankreich hat der Europäischen Union etwas Zeit verschafft, sich zu besinnen. Es darf sich aber niemand zurücklehnen: Die Gefährdungen für das vereinte Europa, für Demokratie und Frieden bestehen unverändert fort, die Gesellschaften drohen sich weiter zu spalten. Ein „Weiter so“ kann es deshalb nicht geben! Es braucht einen echten Aufbruch, denn wenn nationale Wahlen dauerhaft zugleich Schicksalswahlen für den Fortbestand der Europäischen Union sind, wird diese nicht überlebensfähig sein. Es bedarf eines nachhaltigen und zügigen Entwicklungs- und Gestaltungsprozesses, der das vereinte Europa zukunftsfähig macht.

Die Mitwirkung daran sieht Pulse of Europe als Verpflichtung für alle politischen und gesellschaftlichen Kräfte an. Wir halten es für wichtiger denn je miteinander zu reden und möchten den Dialog über die Zukunft Europas zwischen den Bürgerinnen und Bürgern und der Politik beleben und intensivieren. Wir werden Pro-Europäer bestärken, ihre Wahlentscheidung bei den Bundestagswahlen maßgeblich vom Europaprogramm der Parteien abhängig zu machen. Deshalb möchten wir Sie bitten, folgende Fragen dieses offenen Briefes mit einer öffentlichen Stellungnahme bis zum 22. Juni zu beantworten:

1. Welches sind aus Ihrer Sicht die drei größten Herausforderungen, denen Europa und die Europäische Union ausgesetzt sind? Mit welchen konkreten Maßnahmen oder Vorschlägen will Ihre Partei diesen begegnen?

2. Am 25. März 2017 haben führende Vertreter von 27 EU-Mitgliedstaaten, des Europäischen Rates, des Europäischen Parlaments und der Europäischen Kommission in Rom eine Erklärung zu den nächsten zehn Jahren der Union abgegeben. Diese Erklärung ist allerdings abstrakt und beinhaltet kein konkretes Maßnahmenprogramm. Greifen Sie bitte drei Aspekte der Erklärung heraus und erläutern Sie, wie Ihre Partei diese in praktische Politik umzusetzen vorschlägt. Alternativ bitten wir Sie, Aspekte herauszugreifen, die Ihre Partei nicht unterstützt. Bitte erläutern Sie in diesem Fall die Gründe dafür.

3. Die Europäische Union wird von vielen Bürgern als zu bürokratisch und nicht greifbar empfunden. Viele bemängeln ein Demokratiedefizit und haben das Gefühl, zu wenig Einfluss ausüben zu können. Welche Maßnahmen schlagen Sie vor, um dem entgegenzuwirken? Glauben Sie, dass es institutioneller Reformen bedarf? Wenn ja, welcher?

Bitte beschränken Sie Ihre Antworten auf insgesamt maximal sechs Seiten und bemühen Sie sich um eine allgemeinverständliche Formulierung. Ihre Antworten werden die Grundlage für einen aktiven Meinungsaustausch zwischen Bürgern und Politikern bei Pulse of Europe-Veranstaltungen, in den Medien und darüber hinaus sein.

In diesem Sinne warten wir gespannt auf Ihre Antworten.

Mit freundlichen Grüßen

Pulse of Europe

 

 

 

 

 

 

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